„Billy’s Joy“ von Needcompany

Wortgewaltige Bilderflut

Needcompany („Billy’s Joy“ & „Billy’s Violence”) und Cie. Marie Chouinard „« M »“ bei ImPulsTanz – Vienna International Dance Festival 2023

Die Needcompany verdichtet Shakespeares Komödien und Tragödien zu zwei Stücken. Marie Chouniard nimmt den Atem der Tänzer*innen als Ausgangspunkt für ihre neueste Kreation.

Wien, 16/07/2023

74 Menschen hat William Shakespeare in seinen Stücken umgebracht. Victor Afung Lauwers lässt in „Billy’s Violence“ einen Großteil der Hauptpersonen aus den zehn Tragödien auftreten. In einem sehr intensiven Abend zeigt er, dass der Grund für die Tode häufig (unerfüllte) Liebe und Eifersucht sind. Es geht ihm also primär um Beziehungen. Die acht Darsteller*innen schlüpfen während des Abends in unzählige Rollen. Die Kostüme von Jan Lauwers, der auch Regie und Bühnenbild verantwortet, hängen an der Seite der sonst sehr karg gestalteten Bühne mit weißem Boden. Es ist eine Tour de Force, die Vitor Lauwers den Performer*innen, die wie immer bei Jan Lauwers nicht nur tanzen sondern auch sprechen und singen müssen, und auch dem Publikum zumutet. Die einzelnen Szenen gehen ineinander über, nicht immer ist gleich klar, in welchem Stück man sich befindet. Zum Glück werden die Stücktitel und Entstehungsdaten dann im Zuge der Untertitel eingeblendet oder teilweise auch erwähnt. Manches Mal driftet die Handlung auch ins Absurde ab, wenn zum Beispiel Romeo und Julia, nachdem sie beide gemeinsam das Gift getrunken haben, plötzlich Sex haben wollen und dann mit ihren eigenen Fäkalien und Urin zu spielen beginnen. Wer sich jetzt wundert, warum hier steht, dass beide das Gift getrunken haben: In weiterer Folge stellt sich heraus, dass Julia es wieder ausgespuckt hat … An Kunstblut wird während des Abends nicht gespart, in der Schlussszene befinden sich alle Darsteller*innen in einem großen Becken, das mit ebendiesem gefüllt ist. Interessanterweise wirkt dieser Abend unterhaltsamer als die Fortschreibung „Billy’s Joy“, die im Wiener Akademietheater im Rahmen von ImPulsTanz – Vienna International Dance Festival zur Uraufführung gekommen ist.

Zu Beginn von „Billy’s Joy“ tritt der Esel aus dem „Sommernachtstraum“ auf. Er wird einige Male im Laufe des Abends auftauchen. Ebenso wie Romeo, der überlebt hat, und auf der Suche nach Julia ist, die sich nun allerdings Eden nennt. Keine originäre Idee, dass die beiden überleben. Kurz darauf Auftritt des Bären Pourquoi, der allerdings eine junge Frau nicht fressen darf. So beginnt er ausgiebig zu kochen. Bald durchströmt intensiver Zwiebel- und Bratgeruch das Theater. Der Anfang des Abends geschieht mit hohem Tempo und rasanten Tanzszenen. Doch die Dynamik bricht im Lauf des Abends immer mehr zusammen. Man bekommt das Gefühl, dass bei Victor Afung Lauwers aufgrund der langen Beschäftigung mit Shakespeare irgendwann die Luft draußen war. Das trifft natürlich nicht für die herausragenden acht Performer*innen der Needcompany zu. Man merkt, dass ihnen die Rollen teilweise auf den Leib geschrieben wurden und manche von ihnen schon viele Jahre zusammenarbeiten. So funktionieren trotz der vielen Rollenwechsel die Abläufe perfekt. Wie immer bei der Needcompany ist auch dieser Abend sehr intensiv, wirkt aber nicht unbedingt unterhaltsam sondern tragisch und berührend, auch wenn man nicht alle Szenen, wie zum Beispiel den Auftritt Schneewittchens mit den sieben Zwergen, versteht.

Fast schlicht wirkt dagegen „« M »“ der kanadischen Choreografin Marie Chouinard. Ausgehend vom Atem der Tänzer*innen, der live aufgenommen und gesampelt wird, entstehen sehr kurze Bewegungsphrasen, die wiederholt werden. Allerdings lässt der sich wiederholende Ablauf von Aufnahme des Atemgeräusches und die dadurch inspirierte Bewegungsabfolge den Abend vor allem im ersten Teil nicht wirklich in einen Fluss kommen. Durch die Repetition entsteht jedoch eine meditative Wirkung, die durch die Soundscapes von Louis Dufort, eine Mischung von Klängen und Naturgeräuschen, verstärkt wird. Die Choreografie bleibt vor allem zu Beginn sehr minimalistisch, die Bewegung von Armen und Oberkörper überwiegt. Nur selten berühren die elf Tänzer*innen einander, erst gegen Ende gibt es einige Umarmungen. So entsteht der Eindruck, dass  „« M »“ auch noch eine Referenz an die Vorschriften zur Distanz während der CoViD-Pandemie ist.  Oft gibt eine Person, meistens jene, von der die Atemgeräusche stammen, auch die Bewegungen vor, die dann von allen ausgeführt werden. Ist hier also das Individuum noch Anführer*in, so wird es gegen Ende des Stückes teilweise Rebell*in oder Außenseiter*in, wenn es aus den Gruppenszenen ausbricht. Obwohl alle mit nacktem Oberkörper tanzen entsteht durch die gleichen Hosen in knalligen Farben sowie pinke Perücken ein androgyner Eindruck, der die Tänzer*innen miteinander verschmelzen lässt. Die leere Bühne, ebenso wie die Kostüme, die Perücken, das Licht sowie die Gesangspartitur von Chouinard verantwortet, ist in schlichtem Weiß gehalten, man sieht auf die Seitenbühne. Der weiße Bühnenprospekt wird in einzelnen Szenen in intensives Licht getaucht, Blackouts gegen Ende lassen einige Zuschauer*innen glauben, dass es schon zu Ende ist. Auch hier merkt man wieder, dass es einem Ensemble gut tut, wenn es über Jahre hinweg gemeinsam arbeitet. Viel Applaus für den einstündigen Abend.

 

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