„Unisono“ von Hans van Manen. Tanz: Studierende der Ballettakademie

„Unisono“ von Hans van Manen. Tanz: Studierende der Ballettakademie

Es geht ans Eingemachte

Bilanz nach zwei Spielzeiten des Wiener Staatsballetts unter der Direktion Martin Schläpfer

Anlässlich der diesjährigen Nurejew-Gala ist es Zeit, die ersten zwei Jahre aus Martin Schläpfers Ballettdirektion zu resümieren. Das Fazit fällt durchwachsen aus.

Wien, 29/06/2022

Einen Start in Pandemie-Zeiten als neuer Direktor des an die 100 Tänzer*innen zählenden Wiener Staatsballetts im Herbst 2020 hinzulegen, ist sicher hart gewesen. Es ist verständlich, dass Martin Schläpfer da mit vielen Hürden zu kämpfen hatte.

Allerdings muss man zum Ende der zweiten Spielzeit feststellen, dass es im „Gebälk ordentlich kracht“. Gemeint ist damit, dass sich die Vorstellungen des neuen Direktionsteams von einer sehr bunten Programmgestaltung mit der klassischen und neoklassischen Basis des Ensembles, das davor zehn Jahre lang von Manuel Legris geprägt worden war, wohl doch nicht vertragen und das Verständnis für die Pflege des hohen Klassik-Anteils, den eine solch große klassisch geprägte und hierarchisch aufgestellte Kompanie verlangt, wohl doch nur bedingt vorhanden ist. Das zeigt sich in der Spielplangestaltung, bei der Qualität von Einstudierungen, in Besetzungsfragen, bei der Wahl der Dirigent*innen und bei der überschießenden Präsenz von eigenen Werken des choreografierenden Direktors.

Zuletzt aber vor allem bei der unzulänglich programmierten Nurejew-Gala, in der die erwähnten wunden Punkte offen zu Tage traten. Abgesehen davon verlassen erneut wichtige Tänzer*innen das Ensemble wie Rebecca Horner (zum NDT) und Maria Yakovleva (zum Ungarischen Nationalballett) zumindest ein Jahr lang. Roman Lazik scheint vorzeitig von der Bühne abzutreten, ebenso Andrey Kaydanovskyi, der aber als Choreograf für das Staatsballett bleibt, sowie etliche weitere Tänzer*innen.

Selbst wenn man Gala-Programme prinzipiell nicht für notwendig erachtet, muss man Manuel Legris zugestehen, dass er seit 2011 mit dem Ansinnen, Rudolf Nurejew jährlich mit einem im besten Sinne „einmaligen“ Programm zu ehren, ein Ereignis installiert hat, das seine Anhänger*innen gefunden hat. Aus der Sicht der Autorin war es wohl auch der Versuch, in seiner Ära damit die Frage nach einem „Wiener Spielplan“ zu beantworten. Das zweite Wiener Standbein, meinte Legris, sei die Gestaltung der Tänze für das weltweit übertragene Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. Rudolf Nurejew war der Stadt in vieler Hinsicht besonders verbunden. Von seinem ehemaligen Pariser Schüler Legris besonders ver- und geehrt, fand sich der direkte Zusammenhang zum Startänzer nicht nur in den einzelnen Programmpunkten, sondern, für alle verständlich, auch durch die Einblendung großformatiger Fotos und kurzer Videos mit Beschriftung in den Licht-Pausen.

Die aktuelle Programmierung hatte mit Nurejew relativ wenig zu tun. Besonders heikel wird es außerdem, wenn „essenzielles Material“ angegriffen wird. So versteht man etwa nicht, warum Martin Schläpfer selber den „Corsaire“-Pas de deux mit eigenwilligen Akzenten einstudieren musste, der gehört doch nun nicht zu seinem Metier. Seine Handschrift kam ja ohnedies in einer Auswahl seiner „Ungarischen Tänze“ (Brahms) zum Tragen. Maurice Béjarts „Lieder eines fahrenden Gesellen“ (Mahler) wiederum sind ein Herzstück vergangenen Wiener Repertoires. Den formal entsprechenden, aber ausdruckslos tanzenden Stuttgarter Friedemann Vogel mit einem in die Jahre gekommenen, als Partner unpassenden kanadischen Tänzer und dem an sich sympathischen Dirigenten Guillermo Garcia Calvo, der – den Abend lang – wiederum vorsichtig und oft daher nicht akzentuiert agierte – zu vereinen, ist eine Mischung, die nicht aufgehen kann.

Ein Kapitel für sich wäre, über die Notwendigkeit, Besetzung und Darbietung des Grand Pas aus „Paquita“ zu diskutieren, der nur dann Sinn macht, wenn ausreichend und stilistisch adäquat geprobt und ebenso besetzt werden kann. Auch George Balanchines „Allegro Brillante“ hätte mehr Bühnenproben verdient. Sorgsamer eingerichtet wirkte das von Sol León und Paul Lightfoot choreografierte Trio „Source of Inspiration“ (Philip Glass) mit Joanna Avraam, Edward Cooper und Masayu Kimoto sowie das auf die choreografische Hand Nurejews verweisende Duett aus dem 2. Akt von „Aschenbrödel“ (Prokofjew). Charles Jude verantwortete die Einstudierung mit dem an diesem Abend in den vorzeitigen „Ruhestand“ tanzenden, noch einmal aufleuchtenden Roman Lazik an der Seite von Olga Esina.

Zu elaboriert für einen Gala-Abend nahm sich dagegen die klug gebaute Schul-Etüde „Unisono“ (Haydn, Bach) von Hans van Manen aus, die Studierende der Ballettschule ausführten. Mit Nurejew nichts zu tun hatte auch der Auftritt eines spanischen Tänzers, der wie Vieles an diesem Abend zu lang wirkte.

In der kommenden dritten Spielzeit, in deren Zentrum Martin Schläpfers Neufassung von „Dornröschen“ steht, wird sich weisen, wie die immer stärker zu Gunsten des Chefchoreografen ausschlagende Gewichtung im Repertoire einem solch großen, traditionsreichen Ensemble zu Gesicht steht. Seine jüngste abendfüllende Produktion „Die Jahreszeiten“ (Haydn) vermochte nicht zu überzeugen. An Wiederaufnahmen oder Neuerwerb von Werken von Jiri Kylián oder William Forsythe wird nicht gedacht, wie es aus der Dramaturgie heißt; mit John Neumeier sei man im Gespräch.
 

Siehe auch Kritik zu „Die Jahreszeiten“ von Schläpfer.

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