Alessandra Ferri

Der Klassik-Glamour ist zurück

Erste Gedanken zur Bestellung von Alessandra Ferri als neue Ballettchefin des Wiener Staatsballetts ab Herbst 2025

Dass es nun die 1963 in Milano geborene Alessandra Ferri ist, der Staatsoperndirektor Bogdan Roscic und Volksoperndirektorin Lotte de Beer, einen Fünfjahresvertrag angeboten haben, mutet zunächst einmal wie eine richtige Entscheidung an. Richtig in dem Sinne, dass erkannt wurde, dass die Basis des großen Ensembles die klassische Tanztechnik im Training und der klassische Tanz auf der Bühne sind.

Wien, 25/10/2023

Sie war vor wenigen Tagen im Publikum gesichtet worden. Doch hielten sich dieses Mal so gut wie alle Kolleg*innen der Medien, die seit einiger Zeit auf einen Hinweis aus der Wiener Staatsoper bezüglich der Nachfolge von Ballettdirektor Martin Schläpfer hofften, mit lauten Spekulationen zurück. Etliche Namen schwirrten herum. Schläpfer hat seinen Fünfjahresvertrag, wie es bereits im vergangenen Frühjahr hieß, aus persönlichen Gründen nicht verlängern wollen.

Dass es nun die 1963 in Milano geborene Alessandra Ferri ist, der Staatsoperndirektor Bogdan Roscic und Volksoperndirektorin Lotte de Beer, einen Fünfjahresvertrag angeboten haben, mutet zunächst einmal wie eine richtige Entscheidung an. Richtig in dem Sinne, dass erkannt wurde, dass die Basis des großen Ensembles die klassische Tanztechnik im Training und der klassische Tanz auf der Bühne sind. Auf diesem Grund lässt sich dann vielfältig und tatsächlich bis in die Gegenwart hinein Contemporary Ballet programmieren. 

Das Wiener Staatsballett ist seit 2005 als Arbeitsgemeinschaft zwischen den beiden Häusern Staatsoper und Volksoper organisiert und betanzt beide Bühnen. Die Leitung ist keineswegs eine einfache Aufgabe, da es sich auch aus organisatorischen Gründen letztlich um zwei Ensembles handelt, die einen immer schon da, die anderen immer schon dort, deren Auskommen aber, bei Anerkennung dieser Tatsache (inklusive der wieder aufkeimenden Frage nach den Einlagen in Opern und Operetten und Beteiligung an Musicals), gut funktionieren kann. Zu diesen direktorialen Aufgaben gehört außerdem die künstlerische Leitung der Ballettakademie.

Mit Ferri, die sich offenbar auf Einladung seitens der beiden Direktionen beworben hat, und sich, wie es im Pressetext heißt, gegen 39 MitbewerberInnen durchgesetzt hat, holt man eine edle und eigenwillige Bühnen-Perle nach Wien, von der man eigentlich in erster Linie ihre tänzerisch-dramatischen Fähigkeiten abgespeichert hat. 1991 trat sie zwei Mal an der Wiener Staatsoper im Rahmen eines von Elena Tschernischowa organisierten Gala-Programms auf: in „Other Dances“ von Jerome Robbins. Dass sie sich heute daran nicht mehr erinnert, wenn von ihren Kooperationen mit zahlreichen internationalen Ensembles geschrieben wird, mag man ihr nicht verübeln. Sie war in den Ländern mit Ballettkultur gefragt und war fest am Londoner Royal Ballet, dessen Ausbildung sie auch abschnittweise genossen hat, dem American Ballet Theatre und an der Scala engagiert. Dort erhielt sie auch den heute kaum noch vergebenen Titel Prima Ballerina Assoluta. Mit 44 entschloss sie sich ihre Karriere zu beenden, aber es waren offenbar Wayne McGregor und John Neumeier, die sie sechs Jahre später, nach ihrer Erfahrung als Leiterin des Spoleto Festivals, wieder auf die Bühne lockten. Beide Herren kann man sich durchaus als Fürsprecher für das Engagement Ferris in Wien vorstellen. Wobei Neumeier, der demnächst seine „Kameliendame“ in Wien einstudiert, Ferri bei seiner letzten Nijinsky-Gala in Hamburg für die Rolle der Romola Nijinsky holte. Reine Fantasie, daran jetzt zu denken, ob und was Ferri dann in Wien tanzen könnte…

Alessandra Ferri wird nicht choreografieren, sondern wie heute zu vernehmen war, sich stark der Arbeit mit den Tänzer*innen und dem Programmieren widmen. Das erinnert an die Wiener Direktionszeit ihres Kollegen Manuel Legris. Mit ihrer Bestellung ist definitiv auch jener Klassik-Glamour zurück, der der Wiener Staatsoper zu Gesicht stehen kann, wenn sie sich ihrer Wurzeln besinnt. Der Name Ferri befördert eine illustre besetzte Gedanken-cloud, in der die Idole vergangener Zeiten schweben – Baryschnikow, Nurejew und doch einige weitere Ausnahmetänzer und Choreograf*innen. Ob das mehr als Nostalgie ist oder doch ein Ausweis für ein Ballett-Update wird sich erst erweisen.

Und natürlich schön, dass es eine Frau ist. Nach einem missglückten Engagement von Bronislava Nijinska Anfang der 1930er Jahre waren es seither Margarete Wallmann, Helga Swedlund, Erika Hanka, Dia Luca sowie Gerlinde Dill, Elena Tschernischowa, Susanne Kirnbauer, Liz King und Anne Woolliams, die Ballett-Leitungsfunktionen an der Staats- und Volksoper innehatten. Alessandra Ferri ist die erste Staatsballettchefin, die der oben erwähnten ARGE vorsteht.

 

PS: Eine Träne darf trotzdem vergossen werden. Alexei Ratmansky, dessen Name immer wieder als möglicher Kandidat aufgetaucht war und der dieser Tage in Wien war, auch um die Pierre-Lacotte-Fassung von „Coppélia“ zu sehen, hätte – auch das ist jetzt Fantasie aber gut möglich – als kreativer Klassikproduzent aus dem reichen Wiener Ballettfundus des 19. Jahrhunderts zu schöpfen gewusst. Aber als Gast wäre das ja auch möglich…

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