„Carmina Burana“ von Edward Clug

Auf Tuchfühlung mit Fortuna

"Carmina Burana" des Ballett Maribor in Fürstenfeldbruck

Mittreißende Intensität im Kreislauf: Standing Ovations für Edward Clug und sein Ensemble

Fürstenfeldbruck, 17/07/2022

Eigentlich grenzt es an ein Wunder, daß Carl Orffs „Carmina Burana“ in getanzter Form beim Tanzfestival „DanceFirst“ in Fürstenfeldbruck aufgeführt wurde. Denn der renommierte Choreograf Edward Clug, der auch für das Bolshoi-Theater choreografierte, konnte sich nur mühsam zu dieser Choreografie hinreißen lassen. Schlussendliche brauchte er aber nur vier Wochen, um Orffs letztes Werk in Szene zu setzen.

Es handelt sich dabei um eine mittelalterliche Sammlung, die „Carmina Burana“ von „mehr als 250 überwiegend lateinischen Dichtungen, untermischt mit mittelhochdeutschen Versen und altfranzösischen Einsprengseln, moralisch-satirischen Gedichten, Liebes-, Trink- und Spielliedern, auch geistliche Spielformen“, wie es im Vorwort der Partitur heißt, die im Kloster Benediktbeuern lagern. Orffs gleichnamiges Werk enthält 24 Lieder, die er 1936 vertonte.

Das Tanzensemble „Ballett Maribor“ des Slowenischen Nationaltheaters führte am vergangenen Donnerstag unter Leitung seines Chefs Edward Clug im Rahmen des Tanzfestivals „DanceFirst“ Orffs „Carmina Burana“ vor vollbesetztem Haus auf und erntete Standing Ovations.
Dreh- und Angelpunkt von Edward Clugs Kreation ist der Kreis, in seiner Symbolik als Grundthema mit Variationen. Bühnentechnisch rankte sich das Tanzgeschehen um einen schwarzen Ring, der vom Bühnenhimmel mal über den Tänzer*innen Halt machte oder auch als Ring wie ein Brunnenrand zu Boden gelassen wurde, auf dem sich Männer und Frauen niederließen und unbekümmert feiern konnten: „Jugend ist Trunkenheit (mit und) ohne Wein“ (Goethe). Einfach und klar war das Motto dieses Werkes, in der die Geschichte der Menschheit – nämlich Aufbruch, Hoffnung, Versuchung, Liebe – nicht im Stile einer Nummernoper, sondern organisch ineinander übergehend in Szene gesetzt wurde. Clug hat bei seinem Ballett die einfache wie ideale geometrische Form des Kreises gewählt, „als Einladung zur Kommunikation“ (Clug), als Sinnbild für die Schöpfung der Natur, der Himmelskörper, auch mit der Bedeutung des Übergangs vom Leben zum Tod. Der Kreis als (wiederkehrendes) Zentrum, nämlich der (wiederkehrenden) Erkenntnis, diese Momente der gegensätzlichen Kräfte, des Aufpralls, des Rituals kommen in Clugs „Carmina Burana“ so plastisch zum Ausdruck, wie sie sich Orff sicherlich nicht hätte besser wünschen können.

Massenszenen, mal im Kreis, mal in sich gegenüberstehenden Reihen, versehen mit akrobatischen Partnerszenen oder Soloauftritten lassen die Zeit im Flug vergehen. Apropos Zeit: Um uns die Endlichkeit unseres Daseins, die Vergänglichkeit vor Augen zu führen, haben die Tänzer*innen im Liegen ihre Beine in die Höhe nach oben gestreckt und diese wie ein Pendel seitlich hin und her bewegt, optisch vergleichbar wie ein sich im Wind bewegender Grashalm.

Damit nicht genug der anschaulichen Ideen: Clug kann sehr genau zwischen derb und filigran unterscheiden und dementsprechend choreografieren. Bei „Auf dem Anger“ springt das Mädchen unvermittelt auf den Schoß eines jungen Mannes, während der Chor auf mittelhochdeutsch singt: „… lat mich iu gevallen!“(Laßt mich euch gefallen!). Noch Fragen?

Dass dieses Werk von seiner Dynamik und Geschlossenheit lebt, sich also der Kreis schließt, führt uns Edward Clug mit seiner Compagnie immer wieder gerade im Detail eindrucksvoll vor Augen: Während das Ensemble die Glücks- oder Schicksalsgöttin zu Beginn des Werkes „O Fortuna“ in rotgeflammten Kostümen förmlich anruft oder auch anfleht und das Leben als Aufbruch feiert, ‚verlieren’ die Tänzer*innen spätestens in der Reprise von „O Fortuna“ ihre äußerliche Farbe, nicht aber ihre Intensität in der Expressivität, ihre Spannung im Auftreten, die das Ensemble durchgehend an den Tag legt: Aus roter Kleidung wird blasse Haut – Leben geht über in Vergänglichkeit. Die Unvergänglichkeit dieses monumentalen Werkes hingegen, was Edward Clug hier differenziert, feinfühlig in Szene gesetzt hat, zieht nicht nur das Festival-Publikum in den Bann.

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