Gefällig, unauffällig
Zweiteiliger Abend „Kontrapunkte“ am Theater Chemnitz
Samuel Mathieu bringt mit dem Ballett Chemnitz ein Frauenstück auf die Bühne
Von Peggy Fritzsche
Sechs Frauen stehen am Rand der Bühne. Erst flüstern sie. Dann sprechen sie. Irgendwann schreien sie. Aber sie tanzen nicht. Zwei Minuten hält das ein Zuschauer im Chemnitzer Ballettsaal aus. Dann murmelt er zu seinem Sitznachbarn. „Quatschen die eigentlich nur oder machen die auch noch was?“ Klar, Mann! Sie machen auch noch was! Sie tanzen. Sie wirbeln. Sie kämpfen. Sie leiden. Sie zeigen Stärken und Schwächen. Aber in einer von Männern geprägten Welt, wird das Handeln der Frau erstmal aufs Quatschen eingedampft. Es reicht, Mann!
Der Spiegel ist zugezogen, die Lichter sind neonkalt. Die Boxen knacken, aber bleiben stumm. Das Bild ist starr. Sechs Frauen harren mit dem Rücken zur Mitte des Schwingbodens aus. Sie sind bewegungsunfähig, am Rand der Gesellschaft, jede für sich. Es ist ein Mann, der die Szene aufräumt. Choreograf Samuel Mathieu hat schon die Themen Krieg und Diktatur inszeniert. Er ließ Männer tanzen – rau und poetisch, stark und schnell, als Flüchtlinge und Angreifer.
„MILI“ hat Samuel Mathieu sein Tanzstück benannt, in dem es um Widerstand gegenüber Machtstrukturen geht, und holt zusammen mit seinem Dramaturgen Andrej Mircev das Publikum in die heilige Halle, oben unter dem Dach der Chemnitzer Oper. Keine 50 Menschen hocken zur Premiere im Probensaal, mehr passen da gar nicht rein. Die Direktorin Sabrina Sadowska hockt auch, im wahrsten Wortsinn, mit ausgestreckten Beinen auf dem Boden in einer Ecke. Doch dieser Boden bleibt nicht lange ruhig. Das weibliche Kollektiv, es tanzen Isabel Dohmhardt, Valeria Gambino, Emily Grieshaber (alle Mitglieder des Ballett Chemnitz), Rayanne Giumaraes (Studentin der Staatlichen Ballettschule Berlin), Ayda Frances Guneri (Studentin der Ballettschule Hamburg Ballett John Neumeier) und Elena Zanato (Praktikantin beim Ballett Chemnitz), entwickelt in 45 Minuten mit Wucht seine Kraft. Setzen die Frauen zunächst achtsam und zart Zehenspitze vor Zehenspitze, die Körpersehnen zum Bersten gespannt, springen und kullern und rennen sie dann mutig durcheinander, aufeinander zu, voneinander weg, um schließlich aufzustampfen und Kraftschreie zu brüllen und Ellenbogen zu stoßen und Köpfe in die Luft zu reißen. Inzwischen wummern die Bässe wie im dunklen Berliner Berghain. Es dröhnt und sext und schwitzt und schmutzt. Licht aus. Ton aus. Der Tanz ist vorbei. Der Zuschauer und sein Sitznachbar gucken baff und blaffen nicht mehr über dämliches Geschwätz.
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