Gemeinsam ist schöner
Off Europa zeigt eine deutsche Erstaufführung von Zsuzsa Rózsavölgyi und ein Familienstück der Company Rebecca Weingartner
Soli von Karol Tyminski und Paweł Sakowicz beim Off-Europa-Festival in Leipzig
Mit „Identität Polska“ war das diesjährige in Leipzig, Dresden und Chemnitz stattfindende Off-Europa-Festival für Theater, Tanz, Performance, Film und Musik überschrieben. In seiner Art eins der deutschlandweit interessantesten Entdeckerfestivals, dürfte dessen aktuelle, sich Polen zuwendende Ausgabe, eine der organisatorisch nervenaufreibendsten gewesen sein. Denn torpedierte Corona erst den regulären Festival-Frühjahrstermin komplett, komplizierte die Pandemie jetzt mit fraglos notwendigen Maßregeln gleichwohl den Ablauf. Und dann fällt mit „Into Me, See“ kurzfristig auch noch einer der Haupt-Acts aus: Tänzer Dariusz Nowak hatte sich eine Knieverletzung zugezogen. Als Ersatz sprang Karol Tyminski mit seinem Solo „This Is A Musical“ ein. Vor zwei Jahren war es schon mal in Leipzig zu sehen, zum Lückenfüller macht es das nicht. Schon deshalb, weil es an diesem Off-Europa-Freitag auf der großen Bühne des gut besuchten Theaters der Jungen Welt mit einem zweiten Stück eine reizvolle Kombination erfährt.
Paweł Sakowiczs „Jumpcore“ ist ebenfalls ein Solo. Und mutet an wie die ironisch schöne Variation einer alten Tanz-Sehnsucht: Die nach dem großen Sprung ins Leere, nach den Augenblicken der Boden-, sprich Schwerelosigkeit, die möglichst ewig währen soll. Und die 1964 den New Yorker Tänzer Fred Herko bei einer Vorführung aus dem Fenster eines Appartementhauses springen ließ. Aus dem fünften Stock per Grand Jeté in die Ewigkeit. Für „Jumpcore“ ist das der Gravitationspunkt, um den Sakowicz rotiert. Im flattrigen Morgenmantel, kraftvoll und wohltuend fern vom Tänzer-Standard-Bodyindex. Oft um die eigene Achse und durch den weiten Raum, gern auch mal beachtlich ausdauernd auf einem Bein. Das hat etwas von einem immer wieder neu ansetzenden Anlauf, von einem Heran- und Davontanzen, dem etwas Närrisches und Besessenes zugleich anhaftet. Und zu dem Sakowicz irgendwann einen Song Lana del Reys singt: „In the land of gods and monsters/ I was an angel/ Living in the garden of evel.“
Als Werk eines gefallenen Engels aus dem Garten des Bösen ließe sich „This Is A Musical“ sicher auch wahrnehmen. Vorausgesetzt, man teilt die Perspektiven eines katholischen Rechtskonservatismus, für den zumal in seiner polnischen Sonderausgabe dieses „Musical“ reinstes Teufelswerk sein dürfte. Tyminskis Tanzperformance ist wild und kontrolliert, kitschig und abstrakt. Explizit schwul pornografisch ebenfalls. Und darin sicher eine auch gezielte Provokation, zumindest für alle, die allzeit empörungsbereit schon erwähnte Perspektiven teilen. Die Perspektive nun die Tyminski interessiert, ist die des eigenen Körpers auf den eigenen Körper. Das schließt die Zelebration von Stärke und Verwundbarkeit ebenso ein, wie das Lauschen auf das mit Mikro verstärkte Herzklopfen oder die eben nicht kaschierte Sexualität. „This Is A Musical“ ist ein Stück Selbstvergewisserung als Selbstbehauptung. Und das wiederum ist explizit politisch.
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