„Old Pont“ von Zsuzsa Rózsavölgyi

Gemeinsam ist schöner

Off Europa zeigt eine deutsche Erstaufführung von Zsuzsa Rózsavölgyi und ein Familienstück der Company Rebecca Weingartner

Ein Tanzstück kommt mit zehnjähriger Verspätung nach Deutschland, ein anderes holt gleich das junge Publikum mit auf die Bühne. Beide eint das Thema des gemeinsamen Handelns und sie sind Teil des diesjährigen Off Europa Festivals.

Leipzig, 27/04/2024

Das Off Europa Festival hat sich in den 22 Jahren seines Bestehens ganz schön gemausert. Gegründet 1994 als Festival für freies Theater in Europa in Leipzig bespielt es mittlerweile auch Chemnitz und Dresden. Die ehemals dominierenden Länderschwerpunkte sind abgeschafft und Festivalleiter Knut Geißler setzt eher auf thematische Brücken. „Du bist im Kopf offener, wenn du nicht auf ein Land beschränkt bist“,erzählt er, „es ergibt sich aber um so stärker die Verpflichtung, gute Sachen zu finden.“ Dieses Jahr sind auch einige Tanzinszenierungen dabei, darunter eine deutsche Erstaufführung, was umso erstaunlicher ist, da die Inszenierung bereits vor zehn Jahren in Budapest herausgekommen ist.

Trompetenamenonen im Schwebezustand

„Old Pont“ von Zsuzsa Rózsavölgyi ist eine Reise ins Dunkle, eine Reise in den Urschleim. Die leere weiße Bühne ist eingetaucht in dunkelrotes Licht. Dazu entfernt blubbernde und raschelnde Geräusche. Wir sind im Lofft und zugleich am Boden dieses titelgebenden alten Teiches, auf dem die drei Tänzer:innen Vivien Piti, Sándor Petrovics und Csaba Varga auf dem Bauch liegen. Das rote Licht verwundert, ergibt aber im Laufe der Inszenierung Sinn. Rudimentär beginnt das Trio sich zu bewegen, rollen vom Bauch auf den Rücken, irgendwann kommt eine andere Bewegung hinzu, ein angewinkeltes Knie, ein Arm, die dann von den anderen übernommen wird.

Geradezu meditativ kreiseln die drei so über den Boden, wie ein kleiner Schwarm von Kleinstlebewesen. Tompetenanemonem seien ein der Ausgangspunkte für diese Arbeit gewesen, heißt es zur Produktion, und man glaubt es sofort. Die Bewegungen werden komplexer, die drei kommen ins Sitzen, drehen sich und es kommt zu ersten Berührungen und gemeinsamen Aktionen. Zusammen sind sie aber die ganze Zeit, es gibt keinen Solitär, alles ist miteinander verbunden in diesem evolutionären Schnelldurchlauf. Doch dauert bald 40 Minuten bis dieses Kreiseln, Kriechen, Robben und Schwanken in den aufrechten Gang mündet. Dabei verändert sich das Licht und bringt die Kostüme von Nóra Bujdosó zur Geltung. Je nach Lichtstimmung zeigen sich hier ganz neue Farben und aus den zunächst monochromen Anzügen werden vielfarbig gestreifte individuelle Kleidungsstücke. Vom Einfachen zum Komplexen, das ist die Geschichte, die hier in mitunter ausufernder Länge in etwa 50 Minuten erzählt wird. Bis die drei sich in eindrucksvollen akrobatischen Hebefiguren ganz aus dem trüben Wasser herausbewegt haben.

Es ist bewunderswert, wie die Truppe ihre kleinen Veränderungen etabliert und weitergibt, mit welcher genauen Robustheit hier über den Boden geflossen wird, immer im Wiegen der fiktiven Wellenbewegungen des Wasser. Ein Abend voller poetischer Momente und einer stillen Erhabenheit, auf die das deutsche Publikum zehn Jahre warten muss und das nun Dank einer Wiederaufnahme durch das Prager Bazaar-Festival auch hier zu sehen ist.

 

Generationsübergreifende Solidarität

Das Gemeinsame steht auch bei „Solidarity“ der Company Rebecca Weingartner aus der Schweiz im Mittelpunkt. „Wir machen alles zusammen“, stellt Weingartner die Gruppe mit den sechs Beinen, sechs Armen und 91 Zähnen auf der Bühne fest, vor einem Publikum, das in etwa zu gleichen Teilen aus Kindern, Eltern und sonstwie Interessierten besteht. Zusammen mit den beiden Tänzern Raul Martinez und Nello Novela lädt sei ein zu einem Tanz-Mitmach-Event für alle ab acht Jahren. Dabei darf mitgetanzt und gesungen werden, denn gerade Novela entpuppt sich auch als respektabler Musiker mit Gitarre, Loopmaschine (auf einer beweglichen Teppichbühne, die mal am Rand und mal auf der Mitte der Bühne steht) und beim Beatboxen.

Die drei krabbeln zunächst als eine Art Raupe auf die Bühne, bei der die Hände die Fersen des Vorkrabbelnden umfassen. Jede Bewegung fährt zunächst von der einen zur anderen Seite des Trios: Blicke, Armbewegungen, Beinschläge. Alles in wunderbarer Harmonie, zusammen ist alles gut. Doch es ziehen dunkle Wolken auf im Paradies. Nach einer chorischen Mitsingnummer „kämpfen“ Weingartner und Martinez um den dritten im Bunde und lassen die Kinder wie beim Tauziehen mitmachen. Das Ergebnis: Martinez wandert aus nach Costa Rica – zumindest für drei Minuten. Dann sind die drei wieder vereint und begeistern das junge und alte Publikum mit musikalischen Einlagen und athletischen Tanznummern. So überzeugt Novela mit weißen Handschuhen mit langen Fingernägeln als Kung-Fu-Balletttänzer, der vom Kantenschlag direkt in den Spagat wechseln kann. Gerne rollen sie gegenseitig ihre Rücken oder wirbeln sich herum, wenn etwa Martinez Weingartner an den Armen hält und sich im Kreise drehend zu einem Helikopter wird. Sie erzählen von ihren Träumen, finden heraus, wie viele Sprachen im Publikum und auf der Bühne gesprochen werden. Im konkreten Falle bei der Aufführung im Theater der Jungen Welt in Leipzig waren es 13. Zum Abschluss hießt es dann Open Stage: Alle dürfen mittanzen, aber anders als in einer vorherigen Nummer, wo es eine kleine Schrittfolge zu lernen gab, absolut freestyle.

Eine muntere Performance, die das Gemeinsame entfesselt, aber zugleich auch nicht darüber hinaus wächst. Der Begriff der Solidarität wird so zwar an, aber nicht ausbuchstabiert, aber gerade das teilnehmende junge Publikum hatte in der knappen Stunde großen Spaß. Gemeinsam ist halt schöner als Allein.

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