„Exhausting Space“ von Iván Pérez. Tanz; Marc Galvez, Leon Poulton, Inés Belda Nácher

„Exhausting Space“ von Iván Pérez. Tanz; Marc Galvez, Leon Poulton, Inés Belda Nácher

Wenn kein Spielraum mehr da ist

Zur Tanzpremiere „Exhausting Space“ von Iván Pérez

Tanzchef Iván Pérez eröffnet Heidelberg einen intimen Raum, der sich mit Vertrautheit und Anderssein beschäftigt.

Heidelberg, 14/11/2019

Der Einstieg in die neue Tanz-Spielzeit fällt ungewöhnlich aus: Tanzchef Iván Pérez wählte mit „Exhausting Space“ ein Trio und mit Friedrich 5 die kleinste, intimste Spielstätte des Heidelberger Theaters. Ganz dicht sitzen die Zuschauer auf allen vier Seiten um den Tanzteppich herum; die drei ProtagonistInnen sind zu Greifen nah. Jeder Gesichtsausdruck, jeder Blickkontakt, jeder noch so kleinste Bewegung und jeder Schweißtropfen teilen sich unmittelbar mit.

Viel Raum zum Tanzen bleibt den Dreien allerdings nicht, denn der größte Teil der Bühne wird dominiert von schwarz glänzenden, geheimnisvollen Eiern. Viele Assoziationen bieten sich bei diesem Anblick an. Das Geheimnis des Materials wird allerdings gelüftet, als eines der Eier zu Bruch geht: Es sind – tatsächlich - rohe Eier, und genau so werden sie vom Tanztrio Inés Belda Nácher, Marc Galvez und Leon Poulton auch behandelt. (Iván Pérez nutzte die Chance, seine TänzerInnen und das Publikum ganz dicht zusammenzubringen und erarbeitete das Stück gleich noch mit einer Zweitbesetzung.)

„Exhausting Space“ thematisiert den Mangel an Bewegungsspielraum. Das ist zunächst ganz wörtlich genommen der äußere Spielraum: zwischen rohen Eiern und Publikum bleibt anfangs nur ein schmaler Streifen, auf dem die TänzerInnen sich miteinander bewegen - ohne direkte Berührung, aber immer miteinander im Kontakt. Das erfordert höchste Aufmerksamkeit und im Zweifelsfall die Bereitschaft, sich zurückzunehmen. Andererseits strahlen die Drei einen hohen Grad von Vertraut-Sein aus, eine selbstverständliche, ganz und gar unerotische Intimität.

Kreiert hat Iván Pérez das Stück 2013 für das Ballett Moscow, eines der wenigen dem zeitgenössischen Tanz verbundenen Ensembles in Russland. Der öffentliche Diskurs im Land war zu dem Zeitpunkt geprägt von der aktuellen homophoben Gesetzgebung, die schon Äußerungen über Homosexualität unter Strafe stellt. In diesem aufgeheizten öffentlichen Klima thematisierte Pérez in seinem Stück die Frage nach dem individuellen Spielraum für Individualität, für Anders-Sein und Nicht-Anpassung.

Was passiert, wenn man sich nicht mehr zurücknehmen kann oder will? Was passiert, wenn Dominanz des einen in Aggression gegenüber einem anderen umschlägt? Was passiert, wenn zwei sich gegen den Dritten verbünden? Wie heftig kann ein individueller Befreiungsschlag ausfallen? Hier zeigt Pérez, der sich bislang in Heidelberg eher als Schöpfer sanfter Bilder präsentiert hat, auch einmal klare Kante und raue Seiten. Wenn Inés Belda Nácher und Marc Galvez gemeinsame Sache machen und – mit der Schwerkraft als listiger Verbündeter – Leon Poulton wie eine hilflose Puppe herumschleudern, ist Schluss mit lustig.

Sein tänzerisches Dreigespann hält mit großer Ausstrahlung das Publikum über eine geschlagene Stunde lang in Atem; für den Trance-würdigen Soundtrack sorgt Rutger Zuydeervelt. Zum guten Schluss darf das Trio dann noch einmal kurz, aber intensiv Nähe und Innigkeit zeigen – Visionen für eine freundlichere, zumindest solidarische Welt fehlten bislang noch in keinem Pérez-Stück in Heidelberg. In diesem Fall wendet sich die Botschaft auch speziell an die jüngere Generation: Empfohlen wird „Exhausting Space“ ab 14 Jahren.
 

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