„Autobiography“ von Wayne McGregor

„Autobiography“ von Wayne McGregor

Die unzähligen Varianten des Lebens

Wayne McGregors Tanzabend „Autobiography“ zu Gast im Pfalzbau

In Ludwigshafen wurde die Mischung aus Gedanken- und Tanzexperiment mit großer Begeisterung gefeiert.

Ludwigshafen, 28/01/2019

Einmal mehr hat der Pfalzbau einen hoch aktuellen Tanzabend präsentiert, der seit seiner Premiere vor anderthalb Jahren international von sich reden macht: Wayne McGregors „Autobiography“. Der englische Choreograf gilt als herausragender intellektueller Kopf unter den weltweit führenden Tanzschöpfern; sein nachhaltiges Interesse an Naturwissenschaften und Themen wie Künstlicher Intelligenz hat sich schon mehrfach als überraschende Inspirationsquelle für seine Choreografien bewährt. Jüngster Coup seines Sich-Einlassens auf die wissenschaftliche Moderne ist die vollständige Sequenzierung der eigenen DNA, sozusagen als digitaler Fingerabdruck der persönlichen Biografie. Aber wo und wie ist in dieser unfassbaren Datenfülle der Tanz eingelagert, und wie kann Tanz mit Bezug auf diese Daten sichtbar werden?

Für die Beantwortung dieser Fragen hat McGregor ein illustres Team um sich geschart: Bühnenbildner Ben Cullen Williams, der sich eine hängende, mobile geometrische Lichtskulptur einfallen ließ, von Lucy Carter in raffiniertes Lichtdesign eingebunden; Modedesigner Aitor Throup als Kostümbildner und die Chicagoer Elektronikmusikerin Jlin für einen mal aggressiven, mal schmeichelnden Sound. Die Dramaturgie des Stückes schlägt schließlich die Brücke zum codierten Erbgut des Choreografen: ein Algorithmus bestimmt in welcher Reihenfolge die den 23 Chromosomenpaaren zugeordneten und mit kurzen Stichworten überschriebenen Sequenzen in der jeweiligen Aufführung aneinandergereiht werden, und wer unter den zehn TänzerInnen welche Rolle übernimmt. Gastspielroutine kann bei der Präsentation dieses Stückes nicht aufkommen, denn die Konstruktion erlaubt weit über 20 000 Modifikationen – jede Aufführung wird, abgesehen vom definierten Anfang und Ende, anders.

Einen definierten Spannungsbogen haben diese 80 Minuten Tanzfeuerwerk also nicht – oder nur innerhalb der 23 biografischen Miniaturen, aus denen sich das Stück zusammensetzt. Als Manko erwies sich dieses Fehlen – zumindest in Ludwigshafen – nicht. Denn Wayne McGregors „autobiografisches“ Tanzmaterial ist in jeder Phase facettenreich und intensiv. Natürlich ist der Choreograf nicht an einer narrativen Wiedergabe der Etappen seiner Lebensgeschichte interessiert: Was er auf der Bühne zeigt, ist vielmehr die Auseinandersetzung mit Lebensthemen, die vom Anfangsbild des „Avatar“ bis hin zur Selbstvergewisserung in einer Beziehung, von drängender Schlaflosigkeit bis zum zwiespältigen Verhältnis zur Natur (des Menschen, wohlgemerkt) reicht. Und da gewinnt das Stück jenseits allen intellektuellen Überbaus eine hohe emotionale Wucht. McGregors Bewegungsmaterial fußt – bei aller mutigen Individualität – auf klassischem Ballett. In seiner eigenen, famosen zehnköpfigen Kompanie voller Ausnahmeerscheinungen (sechs Männer!) wird, und das ist sicherlich eines der Geheimnisse seines Erfolges, sehr schön getanzt. In Ludwigshafen wurde die Mischung aus Gedanken- und Tanzexperiment jedenfalls mit großer Begeisterung gefeiert.
 

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