„Heatscape“ von Justin Peck, Tanz: Denis Veginy

Eindrucksvoll

„100°C“ des Semperoper Ballett Dresden

Dreiteiliger Ballettabend mit „Heatscape“ von Justin Peck, „Gods and Dogs“ von Jiří Kylián und „Corpse de Ballet“ von Hofesh Shechter.

Dresden, 04/06/2018

Im südlichen Licht von Brandon Stirling Baker, vor einem Prospekt mit symmetrischen Mandalamotiven im Bühnendesign von Shepard Fairey/ObeyGiant.com, kommen 17 Tänzerinnen und Tänzer sportlich und cool von Reid Bartelme und Harriet Jung eingekleidet ganz lässig auf das Publikum zu. Bis an die Rampe, an den Orchestergraben, wo die Sächsische Staatskapelle unter der Leitung von Eva Ollikainen das erste Klavierkonzert von Bohuslav Martinů spielt. Der Pianist ist Adrian Oetiker, und schon dies ist ein besonderer Gewinn des am Ende stürmisch und jubelnd gefeierten Ballettabends.

Martinůs 1925 in Prag uraufgeführtes „Koncert“ mit romantischem Nachklang großer Orchesterpartitur, Motiven heimatlicher Folklore des tschechischen Komponisten, und immer wieder diesen wunderbaren, schon an sich tänzerischen Variationen so unterschiedlicher Stimmungen für das Soloinstrument, fordert die Bewegung, den Tanz geradezu heraus. Und das hat der Choreograf Justin Peck, dessen Kreation „Heatscape“ hier ihre Europäische Erstaufführung feiern kann, auf ganz geniale Weise im Gespür und mit sportiver Eleganz in seinem ganz und gar nicht wie von gestern wirkendem, neoklassischem Ballett choreografiert. Nicht, dass Justin Peck in den rasch wechselnden Zusammenführungen der Tänzerinnen und Tänzer, in den Pas de deux der beiden ersten und dem Pas de trois des dritten Satzes in direkter Weise den musikalischen Linien tänzerisch nachfolgte. Er schafft im Tanz eine eigene, weil schwingende Ebene der Musikalität mit einer Vielzahl tänzerischer Facetten. Zwar haben im ersten, temperamentvollen Satz Zarina Stahnke und Denis Veginy herrliche Variationen der Kunst des Pas de deux zu tanzen, aber immer im spiegelnden Dialog mit dem Ensemble und den nächsten Solist*innen des bedächtigeren, zweiten Satzes, Svetlana Gileva und Gareth Haw, zu denen sich auch schon die Solist*innen des flinken Finales, Alice Mariani, Julian Amir Lacey und vor allem Houston Thomas mit seinen fröhlichen, lichtdurchfluteten Sprungvarianten, gesellen. Einfach spitze, dieser Spitzentanz, ganz gegenwärtig und dermaßen authentisch. Als hätte der 1987 in Washington D.C. geborene Justin Peck, seit 2014 Hauschoreograf beim New York City Ballet, das vor drei Jahren beim Miami City Ballet uraufgeführte „Heatscape“ eigens für die Dresdner kreiert.

Danach gab es die Verleihung des Europäischen Kulturpreises „TAURUS“ für das seit zwölf Jahren von Aaron S. Watkin erfolgreich geleitete Semperoper Ballett. Die sächsische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Dr. Eva-Maria Stange, betonte dies auch in ihrer Laudatio. Sie lobte die schöpferische Ausdruckskraft dieses internationalen Ensembles, vor allem im Hinblick auf die inzwischen längst nicht mehr nur europäische Anerkennung von Watkins Arbeit mit den Tänzerinnen und Tänzern bei der beispielhaften Verbindung von Tradition und Moderne.

Und so so passte es bestens, dass im zweiten Teil des Abends als Dresdner Erstaufführung Jiří Kyliáns vor zehn Jahren entstandenes Ballett „Gods and Dogs“, im eigenen Bühnenbild mit dem inzwischen berühmt gewordenen, glitzernden, flimmernden und aus unzähligen Schnüren bestehenden Vorhang, in seiner geheimnisvollen Durchlässigkeit für die acht Tänzerinnen und Tänzer, nun endlich im Dresdner Repertoire angekommen ist. In der Dunkelheit des Lichts von Kees Tjebbes flackert an der Rampe vor einer Treppe, die in finstere Tiefe führt, eine einsame Kerze als bedrohtes und zu schützendes Zeichen der Hoffnung. Passend zum Titel, der sich auf ein Bildmotiv aus der ägyptischen Mythologie bezieht, das einen doppelgesichtigen Gott mit einem menschlichen Antlitz und dem eines Hundes zeigt, verunsichert es immer wieder die dynamische Projektion eines auf die Tänzerinnen und Tänzer zueilenden Hundes. Eindrucksvoll sind die choreografierten Bilder der Menschen und ihrer Schatten, die ihnen gänzlich andere Dimensionen verleihen.

Von geradezu meditativem Ausdruck ist die Komposition von Dirk Haubrich in der, immer wieder in zeitgenössischer Soundästhetik eingebettet, Passagen aus dem zweiten Satz von Beethovens Streichquartett Op. 18, Nr. 1 zu hören sind. In einen solchen Dialog der Zeiten führt auch die Choreografie Kyliáns, die sich auf neoklassische Traditionen bezieht, diese dann aber in zeitgenössischem Gestus bricht. Zudem zeigt Kyliáns Kreation die Menschen in sich wandelndem, tänzerischem Gestus auf der Suche nach Nähe und Geborgenheit. In der Musikalität der Bewegungen können sie der sie umgebenden Dunkelheit und der Unberechenbarkeit dessen, was ihre Schatten bedeuten, entkommen. Auch die Tänzerin, die zunächst in diesen dunklen Abgrund herunter steigt, kommt wieder herauf und kehrt zurück in die Gruppe. Keine Entwarnung, aber ein Hoffnungsschimmer, als fänden die stummen Schreie der Sprachlosigkeit ihrer weit geöffneten Münder der Tänzerinnen und Tänzer doch ein fernes Gehör.

Am Ende dieses Abends gibt es mit der Uraufführung „Corpse de Ballet“ von Hofesh Shechter einen Totentanz im Walzertakt mit widerständigen Motiven israelischer Folklore toter und lebendiger Menschen an der Schwelle des Todes. Erstmals hat der israelische Choreograf mit einer Ballettkompanie in Deutschland gearbeitet. Shechters für Dresden geschaffene Arbeit, die etliche Motive bisheriger Stücke mal ganz direkt, mal leicht variiert aufnimmt, spielt in einer erstorbenen Landschaft. Hier liegen tote Körper unter einem erstorbenen Baum, dem ganz sicher kein grünes Blatt mehr entsprießen wird. Zehn Tänzerinnen und Tänzer sind mal Lebende und mal Tote in diesem Totentanz, diesem Tanz für und mit den Toten. Die Tradition des Totentanzes führt ins Mittelalter, wie auch der Klang einer zu Beginn und am Ende zu vernehmenden Komposition von Hofesh Shechter, die bekannte, von tröstlicher Jenseitshoffung getragene, psalmodierende Motive aufnimmt. Sie hinterfragt unbarmherzig diese in der Härte skandierende Rhythmik und vermag sie dennoch nicht gänzlich zu zerstören.

Zunächst nur im Hintergrund, dann immer präsenter und in bei Shechter zu erwartender Lautstärke die überbordende Wiener Walzerseligkeit „An der schönen blauen Donau“ von Johann Strauss‘ Sohn. Und schon bewegen sich die Totentänzer*innen im Walzertakt, die Hände flattern aufgeregt und der Walzertanz kann militante, marschierende Bedrohlichkeit annehmen. Immer wieder die Frage ob das der Tanz mit dem Tod, dagegen, oder in den Tod hinein ist. Und dies auch noch – welche Ironie der Geschichte – in fröhlichem Walzertakt. Mit dem Begriff des Todes spielt ja auch der Titel dieser Kreation, „Corpse de Ballet“. Man kann an einen Schreibfehler denken: 'Corps de ballet', das die große Gruppe in der Tradition des klassischen Balletts meint. Aber „corpse“ bedeutet im Englischen ‚Leiche‘ und so ist es auch gemeint, daran lässt die Deutlichkeit des Choreografen keinen Zweifel.

Die Tänzerinnen und Tänzer in den Kostümen von Frauke Schernau und Hofesh Shechter sehen aus wie Menschen auf der Flucht und tragen am Leib, was noch greifbar war. Shechters Licht, hier eingerichtet von Fabio Antoci, assoziiert mit viel Nebel theatrale Endzeitstimmung. Durch diese Universalität gibt der Raum dem Zuschauenden zudem die Freiheit Eigenes hinein zu interpretieren.

Wer am Abend zuvor in der Hellerau das Gastspiel „Grand Finale“ der Hofesh Shechter Company gesehen hatte, durfte in der Semperoper etliche musikalische, tänzerische und thematische Déjà-vu erleben. Man könnte zu dem Eindruck gelangen, dass es sich bei „Corpse de Ballet“ zwar um eine dramaturgisch stringentere, letztlich aber leicht abgemilderte Variante von „Grand Finale“ handle. Auch hier der Walzer in der Semperoper, nur eben nicht in solcher Schärfe wie bei „Grand Finale“. Denn nach eindeutigen Verweisen auf Szenen des Holocaust, Völkermord und Kriege, ist es ausgerechnet der Walzer aus Hitlers Lieblingsoperette „Die Lustige Witwe“ von Franz Lehár, bei der es nur einer freundlichen Aufforderung bedarf und schon summt das Publikum mit.

 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern