„Egon Madsen 75 - Ein Tanzabend für eine Legende“ am Theaterhaus Stuttgart: „Cantata“ von Mauro Bigonzetti. Tanz: Egon Madsen mit Gauthier Dance

„Egon Madsen 75 - Ein Tanzabend für eine Legende“ am Theaterhaus Stuttgart: „Cantata“ von Mauro Bigonzetti. Tanz: Egon Madsen mit Gauthier Dance

Erinnern und nicht vergessen

„Egon Madsen 75 - Ein Tanzabend für eine Legende“ am Theaterhaus Stuttgart

Mit diesem Credo Egon Madsens lässt sich die Stimmung auf dem ihm gewidmeten Tanzabend anlässlich seines 75. Geburtstags am besten beschreiben. Eric Gauthier hatte diesen für seinen Freund und Mentor organisiert.

Stuttgart, 29/05/2018

Der „richtige“ 75. Geburtstag wurde bereits im Sommer 2017 gefeiert, mit vielen Freunden und der Familie, in Italien natürlich, auf der Stadtmauer des toskanischen Dorfes, in dem Egon Madsen heute zuhause ist, wenn er nicht gerade in Stuttgart oder anderswo gastiert – immer noch und zur Freude des Publikums. Lucia Isenring, frühere Stuttgarter Primaballerina und Egon Madsens Frau seit vielen Jahren, hatte damals die Musiker der Dorfkapelle engagiert, und dann kam es, wie es kommen musste: Man tanzte und feierte bis in den frühen Morgen.

So ähnlich war es auch am 25. und 26. Mai, als Eric Gauthier, Chef von „Gauthier Dance“ am Theaterhaus Stuttgart, ebendort zu Ehren von Egon Madsen einen „Tanzabend für eine Legende“ organisiert hatte. Die Stuttgarter Fangemeinde und Ballettfreunde und -kollegInnen aus Nah und Fern ließen den Jubilar ordentlich hochleben – inklusive eines von Eric Gauthier vor Beginn der Vorstellung mit dem Publikum einstudierten „Happy-Birthday“-Ständchens, mit dem Egon Madsen beim Schlussbeifall überrascht wurde.

Schon der Anfang war Italien-Feeling pur, und man wähnte sich unversehens mitten in die Toskana versetzt: Sieben Paare von Gauthier Dance tanzten „Cantata“ von Mauro Bigonzetti, 2001 für das Ballet Gulbenkian entstanden, zu traditioneller Musik aus dem 7. und 8. Jahrhundert, überwiegend live auf der Bühne von vier stimmgewaltigen Musikerinnen gespielt und gesungen. Es ist ein Stück voll praller Lebensfreude, mit allem, was dazu gehört. Bigonzetti, der auch bei Madsens Geburtstag war – schließlich sind die beiden fast Nachbarn –, hat Madsen für diese beiden Abende mit in das Stück integriert. Immer wieder irrlichtert er mit seinem schlohweißen Schopf durch die Reihen, bis er schließlich – man erinnert sich lustvoll an seinen Mercutio in Crankos „Romeo und Julia“, an seinen Joker in „Jeu de Cartes“ oder an Gremio in „Der Widerspenstigen Zähmung“ – ganz Mittelpunkt wird, voller Schalk, Witz und überschäumender Lebensfreude. Was für ein Spaß!

Nach der Pause dann zwei Auszüge aus Stücken, in denen Madsen als älterer Tänzer seine ganze Bühnenkunst entfalten durfte: „Greyhounds“, bei dem er selbst Regie führte und zusammen mit Marianne Kruuse, Julia Krämer und Thomas Lempertz, allesamt ehemalige legendäre TänzerInnen, die Erinnerungen wachruft an das, was war und immer noch ist in ihren Körpern, vor allem aber in ihrer Seele: die Liebe zum Tanz, zur Bewegung, zur Darstellung. Meisterhaft!

Und natürlich darf an so einem Abend ein Ausschnitt aus „Don Q.“ nicht fehlen, dieser „nicht immer getanzten Revue über den Verlust der Wirklichkeit“ von Christian Spuck für Eric Gauthier und Egon Madsen, deren Premiere im September 2007 den fulminanten Auftakt zur ersten Saison von Gauthier Dance am Stuttgarter Theaterhaus bildete. Elf Jahre nach der Premiere sind die beiden Ausnahmekünstler, die sich so ähnlich und doch so verschieden sind, in dem Stück immer noch eine Sensation mit ihrem präzise gesetzten Witz, den haarscharf getimten Slapsticks und ihrer atemberaubenden Bühnenpräsenz. Wie schön, dass im November 2018 eine Neuauflage dieses Stücks zu erwarten ist: „The Return of Don Q.“, (die Premiere ist am 29.11., weitere Vorstellungen am 30.11., 1.12. und 2.12., es empfiehlt sich, schon jetzt die wenigen Restkarten zu reservieren).

Der Abschluss des Abends jedoch und gleichzeitig unbestrittener Höhepunkt war ein Solo, das Mauro Bigonzetti Egon Madsen buchstäblich auf den Leib und mitten hinein in dessen Seele choreografiert hatte: „Solo 7557“ – 75 für das Alter des Tänzers, 57 für das des Choreografen). Die Musik kommt vom Band und ist doch fast so präsent, als wäre sie live gespielt: „Goodbye“ des Jazz-Pianisten Keith Jarrett und des Bassisten Charlie Haden, und danach die Arie „Le Spectre de la Rose“ von Hector Berlioz mit Janet Baker – zweimal acht Minuten voller Melancholie über das Älterwerden und die Vergänglichkeit, aber auch über innere Stärke und Würde. Mauro Bigonzetti schreibt dazu im Programmheft: „Egon ist wie ein großes Behältnis, voll mit Leben und Freude. Er ist ein Mann mit so vielen unterschiedlichen Erfahrungen. Bei der Arbeit im Ballettsaal habe ich das Gefühl, dass sich seine Lebenserfahrung mit der Arbeit vermischt. (...) Egon ist so voller Ideen. Man spürt sofort den Künstler. Es ist magisch.“ Und genau so ist es auch: Es ist zutiefst ergreifend, wie sich diese Magie, die von Egon Madsen auf der Bühne ausgeht, immer weiter entfaltet und atmend in den Raum hinein ausbreitet. Er braucht gar nicht viel zu tun, er ist einfach da. Seine sparsamen Gesten, wenn er mit den Daunenfedern spielt, diesem Symbol für Leichtigkeit als Kontrast zur Schwere, seine alterslose Bewegungseleganz, seine Präsenz bis in die äußersten Haarspitzen hinein, sein ganzes Sein – das ist Kunst in höchster Vollendung. Das muss man immer wieder erinnern. Das darf man nie vergessen.
 

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