Die Farce als letzte Zuflucht

Egon Madsen und Eric Gauthier in „Don Q.“

Stuttgart, 08/09/2007

Sind es Don Quixote und sein Diener Sancho Pansa, die sich hier gegenseitig trösten, oder sind es Wladimir und Estragon? „Don Q.“, die neue und „nicht immer getanzte Revue über den Verlust der Wirklichkeit“ im Stuttgarter Theaterhaus, zieht eine direkte Linie von Cervantes zu Samuel Beckett. Zwei traurige Clowns zaubern sich gemeinsam Illusionen vor und verzweifeln vor sich hin, sie warten auf Godot oder auf Dulcinea, auf irgendetwas, wahrscheinlich den Tod. „Don Q.“ ist in der Ballettwelt bekanntlich das liebevolle Kürzel für das alte Petipa-Schlachtross „Don Quixote“.

Auf den sonnendurchfluteten Ballettklassiker bezieht sich die erste eigene Tanzproduktion des Stuttgarter Theaterhauses seit langer Zeit, und die erste mit dem neuen Tanzchef Eric Gauthier. Er ist das junge Gegenüber zum weiß gelockten Egon Madsen, auch er ein früherer Publikumsliebling beim Stuttgarter Ballett wie Gauthier und mehr als doppelt so alt wie dieser. Die subtile Schauspielkunst dieser beiden Balletttänzer trägt das siebzigminütige Zwei-Personen-Stück, das, obwohl es um das Vertreiben der Zeit geht, nicht eine Minute langweilig ist. Sauber aufgereiht steht Mobiliar am Rande eines genau abgegrenzten Raumes (Ausstattung: Emma Ryott), den die beiden Eingesperrten nie verlassen: ein kaputtes Klavier, ein Fahrrad, Kleider, Kartons und Koffer. Rosinante ist ein Schaukelpferd, daran lehnt ein Holzschwert, eine kleine Windmühle lugt übers Schrankeck.

Wir sehen einen Tag vom Aufstehen bis zum Schlafengehen, gefüllt mit gut einstudierten Ritualen des fröhlichen Verdrängens - das fängt mit Grimassenschneiden an, geht über Teebeutelweitwurf bis zum Konfettiregen. Schon wie die beiden morgens ihre Hosen anpirschen, ist witzig. In den besten Momenten vergessen sie sich völlig und toben glückselig vor Albernheit über die Bühne, aber immer wieder bricht die Illusion zusammen, hinterlässt immer größere Depression, gegen die zu kämpfen immer mühsamer wird. Grummelnd und muffelnd, aber mit unendlicher Liebe (also genau wie Sancho Pansa) kümmert sich der Jüngere der beiden darum, dass der alte Träumer glücklich ist - er spielt ihm die Windmühlen vor, gegen die sich zu kämpfen lohnt, er holt die Karnevalshütchen raus, ja er zaubert ihm eine Vision der ersehnten Dulcinea vor, macht sich als blonde Drag Queen so schrecklich lächerlich, dass einem die Tränen kommen. Wenn er zu übermütig wird und sich zu wohl fühlt, dann quält ihn der Alte, aber selbst das erträgt der Junge, stoisch und traurig. Er tut einfach alles, um diese entsetzliche Verlorenheit zu vertreiben, die in Egon Madsens Augen aufscheint, wenn Don Quixote in die Wirklichkeit erwacht.

Es kommt einem fast unheimlich vor, wie stark sich diese beiden Tanzschauspieler ähneln - in ihrer Fähigkeit, mit einem schiefen Blick den Saal zum Brüllen zu bringen, in ihrer Energie und kindlichen Begeisterung, in ihrer schmerzvollen Intensität. Das Stück legt aber auch das längst verschüttet geglaubte Talent des Choreografen Christian Spuck wieder frei, der hier weit von der aufgesetzten Ästhetik seiner letzten Werke beim Stuttgarter Ballett plötzlich wieder Ideen und ein Ziel hat. Unterbrochen durch originelle Einlagen von Shuffle bis Disco sieht der Tanz anfangs noch ganz Spuck-typisch aus, später aber werden die Bewegungen der tröstenden Duos und resignierten Solos immer ausdrucksvoller, immer wahrhaftiger.

Meisterhaft zeigt Spuck den schmalen Grat, auf den sich die Beziehung gerettet hat, die ständig kippende Balance zwischen Lachen und Weinen. Wohl nennt er seinen „Don Q.“ eine Revue, was für die Collage aus Schubert-Liedern, Schnittke, lautem Feelgood-Pop und Ausschnitten aus Ludwig Minkus‘ Ballettmusik sicherlich zutrifft. Die Dramaturgie aber läuft stringent durch, der Weg in den Abgrund wird immer steiler. Für den traurigsten aller Don Quixotes und den treuesten aller Sancho Pansas bleibt einzig die Farce als letzte Zuflucht vor dem Nichts, aber „Don Q.“ ist kein purer Existenzialismus - das Stück wagt mehr Hoffnung als sein Vorbild Samuel Beckett, weil es bei aller Verzweiflung an Trost und Liebe glaubt.
 

Links: www.theaterhaus.com

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