„Tod in Venedig“ von Demis Volpi.

 „Tod in Venedig“ von Demis Volpi.

Dionysos und Apollon im Streit

Demis Volpis „Tod in Venedig“ als Koproduktion von Ballett und Oper in Stuttgart

Volpis Interpretation von Benjamin Brittens Oper setzt auf die Innenwelt ihres Protagonisten.

Stuttgart, 09/05/2017

Der Stuttgarter Demis Volpi hat nicht nur den Übergang vom Solotänzer zum anerkannten Hauschoreografen, sondern zum international gefragten Tanzschöpfer in denkbar souveräner Manier gemeistert. Jetzt bereicherte er den Stuttgarter Spielplan um eine der seltenen Koproduktionen zwischen Oper und Ballett, und sogar die John Cranko Ballettschule durfte mitmachen. Gemeinsames Projekt war Benjamin Brittens letzte Oper „Tod in Venedig“ nach der gleichnamigen Novelle von Thomas Mann.

Brittens Librettistin Myfanwy Piper verdichtete die Geschichte des Schriftstellers in der Schaffenskrise, der bei einer Reise nach Venedig einem unbekannten schönen Jüngling in Gedanken so verfällt, dass er darüber seine Prinzipien, seinen klaren Verstand, seine Würde und am Ende sein Leben verliert, auf ihren philosophisch-psychologischen Kern. Die Zusammenarbeit von Oper und Ballett ist in der Oper schon angelegt: der polnische junge Tadzio und seine Mutter sind reine, also stumme Tänzerrollen. Einen eigenständigen starken tänzerischen Akzent setzt Demis Volpi, indem er den Gott Apollon leibhaftig auf der Bühne erscheinen lässt – die Figur ist vom Komponisten eigentlich als unsichtbare Singstimme angelegt. Für die Premiere schlüpfte Solotänzer David Moore in die Rolle des Gottes. Von Kopf bis Fuß goldglänzend mehr als Statue denn als Lebewesen wirkend, lässt ihn Volpi zwar im klassischen Bewegungsrepertoire glänzen, doch der gesamte choreografische Part bleibt strikt konventionell: Das gilt auch für den Part der polnischen Mutter (Joana Romaneiro) und ihren Sohn Tadzio (Gabriel Figueredo, vielversprechender Nachwuchs aus der John Cranko Schule).

Dreh- und Angelpunkt der Regie ist nicht die Außen-, sondern die Innenwelt; alles dreht sich um die zentrale Figur Christoph von Aschenbach. Für die ständig wechselnden Schauplätze ließ er von Ausstatterin Katharina Schlipf einen diffusen, von mobilen hohen grauen Wandflächen eingerahmten Raum bauen. Mal transparent, mal spiegelnd, mal als Tür nach außen oder Nische nach innen fungierend, lösen die mobilen Wände die Grenze zwischen Innen- und Außenwelt immer mehr auf. Venedig hin oder her – konsequent versagt Volpi der Stuttgarter Aufführung jedes noch so kleinste Fitzelchen Folklore, jede optische Assoziation an Markusplatz und Lido, Gondeln und Kanäle. Bücher über Bücher prägen stattdessen den ersten Teil. Nach der Pause sind sie verschwunden – zugunsten von noch mehr variablen Stellteilen, die unter dem nimmermüden Einsatz der Drehbühne dem immer hektischer, immer weniger von Logik oder wenigstens dem üblichen Normensystem geprägten Handlungs- und Gedankenspielraum des Dichters in der Lebenskrise Raum bieten.

Benjamin Britten hat in seiner letzten Oper ein Gedankendrama zwischen dionysischem und apollinischem Prinzip angelegt – und dem dramatischen Tenor in der Hauptrolle (die Matthias Kink förmlich auf den Leib geschrieben schien) einen Gegenspieler in siebenfach wechselnder Gestalt entgegengestellt (von Bassbariton Georg Nigel souverän gemeistert). Kirill Karabits am Pult des Staatsorchesters Stuttgart kostete die Spannweite der Komposition so weit wie möglich aus: Vom intensiven Einsatz des Schlagzeuges bis hin zu effektvollen Chorszenen, die Dennis Volpi entsprechend wirkungsvoll in Szene setzte.

Zustimmung des Publikums auf ganzer Ebene für eine in sich stimmige Inszenierung, die auch deutlich den respektvollen Blick auf die literarische Vorlage bewahrt hat. Matthias Klink in der Hauptrolle wurde vom Publikum frenetisch gefeiert und konnte sein Bühnenglück kaum fassen. Demis Volpi darf seinerseits schon ein wenig nach der nächsten Ehrung schielen: Mit seiner Stuttgarter „Salome“ ist er für den Prix Benois de la Danse nominiert.

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