Absolut auf Tänzer zugeschnitten
„Tanzmedizin in der Praxis – Anatomie, Prävention, Trainingstipps“
Tänzer und Ernährung – das ist eigentlich kein gutes Thema oder zumindest ein konfliktbelastetes. Denn entweder können Tänzer gar nicht geplant und regelmäßig essen, oder sie wollen es nicht. Direkt vor einer Probe oder Vorstellung ist Essen undenkbar, und direkt danach fehlt oft das Hungergefühl. Vielfach lassen Tagesstruktur und äußere Umstände kaum Freiraum zum Einkaufen und Kochen. Wer sich im ständigen Kampf mit der Waage, dem Spiegel, dem erhofften Selbstbild oder der Konkurrenz mit dünneren KonkurrentInnen befindet, betreibt eher Essensvermeidungsstrategie als konstruktive Ernährungsplanung.
Dabei ist Tanzen ein Hochleistungssport, bei dem der Körper regelmäßig bis an seine Grenzen gefordert wird. Ohne Nahrung – und zwar in der richtigen Zusammensetzung essenzieller Stoffe – und genügend Flüssigkeitszufuhr leidet nicht nur der Energielevel, sondern die körpereigenen Strukturen werden weniger belastbar. Es ist ein trauriges Kapitel, dass hoch motivierte und entsprechend trainierte TänzerInnen immer wieder Verletzungen und Ermüdungsbrüche erleiden, die unzureichender Nährstoffzufuhr geschuldet sind. Angehende TänzerInnen leiden überdurchschnittlich oft an Magengeschwüren oder Ernährungsstörungen wie Magersucht und Bulimie. Dass ihre Figur von TanzpädagogInnen und ChoreografInnen kritisch bewertet wird – oft genug mit wenig Einfühlungsvermögen – hilft nicht, ein positives Verhältnis zum eigenen Körper aufzubauen.
Selbst wenn Tänzer versuchen, sich richtig zu ernähren, dann unterliegen sie der gesamtgesellschaftlichen Verunsicherung zu diesem Thema. Noch nie klaffte die öffentliche Meinung über ‚gesundes Essen’ so weit auseinander wie heute: Steinzeitdiät oder vegan? Bio, lactosefrei, glutenfrei, keine Kohlehydrate oder kein Fett? Regional, saisonal und frisch zubereitet oder schnell und praktisch aus der Mikrowelle?
Die Tanzmedizinerin Liane Simmel (Autorin des Standardwerks „Tanzmedizin in der Praxis“) und die Ernährungsberaterin Eva-Maria Kraft (selbst Tanzpädagogin und Tänzerin) haben sich in ihrem gemeinsamen Buch „Ernährung für Tänzer“ vorgenommen, diesen Gordischen Knoten nicht durchzuhauen, sondern geduldig aufzudröseln. Sie tun dies mit einer guten Mischung aus fundierter Information über das nötige Grundlagenwissen zum Thema Ernährung und einem kenntnisreichen Blick auf die Tücken des Tänzeralltags. Die beiden wissen, wo der Schuh drückt, auch wenn es nicht unbedingt ein Spitzenschuh ist: schwieriges Zeitmanagement nicht nur fürs Essen, sondern auch fürs Einkaufen und Kochen; häufige Ortswechsel, Leben im Ausland mit ungewohnten Produkten und oft wenig komfortable Bedingungen für die Essenszubereitung.
Das Buch „Ernährung für Tänzer“ hält eine gute Balance zwischen Grundlagenwissen und Praxistipps – insbesondere Berufseinsteigern möchte man es gern als Pflichtlektüre empfehlen.
Liane Simmel, Eva-Maria Kraft: Ernährung für Tänzer. Grundlagen, Leistungsförderung, Praxistipps, Henschel Verlag, 168 Seiten, ISBN 978-3-89487-775-0, 19,95 €.
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