„Der Nussknacker“ von Nacho Duato

„Der Nussknacker“ von Nacho Duato 

Fader Finstertanz im Sternenkabinett

Das Staatsballett irritiert mit einem zweigesichtigen „Nussknacker“

Malakhov back, Sasha Waltz weg, skandierte vor der Deutschen Oper ein Häuflein privater Protestierer. Auf der Bühne versuchte Nacho Duato vor dem sternumkränzten Schriftzug „Der Nussknacker“ die überhitzte Atmosphäre abzukühlen.

Berlin, 11/10/2016

Malakhov back, Sasha Waltz weg, skandierte, von Trillerpfeifen und Plakaten unterstützt, vor der Deutschen Oper ein Häuflein privater Protestierer. Drinnen hörte man, dass dies nichts mit dem Staatsballett zu tun habe, aber nicht zu stoppen gewesen sei. Auf der Bühne versuchte Intendant Nacho Duato vor dem sternumkränzten Schriftzug „Der Nussknacker“ die überhitzte Atmosphäre abzukühlen und den Regierenden Bürgermeister zu begrüßen – doch ein Buh-Sturm schluckte dessen Namensnennung. Während der Pause im Saal wieder hysterisch schrille Schreie und Plakatprotest mit Hang zu einer dem Anliegen abträglichen Peinlichkeit. Fast wäre darüber die Premiere zur Nebensache geworden. Doch auch sie sorgte schon im Vorfeld für Unmut. Hat doch Nacho Duato nach nur zweijähriger Laufzeit den von zwei russischen Choreografen besorgten, höchst erfolgreichen „Nussknacker“ der Ära Malakhov eingemottet und durch eine eigene Version aus Petersburg von 2013 ersetzt. Die teure, dem Original nachempfundene ältere Produktion dümpelt nun im Lager vor sich hin, Duato ist Gewinner – einer um mindestens sechs Prozent gesunkenen Auslastung des Staatsballetts und etlichen Mindereinnahmen wegen der Streiks zum Trotz.

Wie bereits bei seinem „Dornröschen“ entrümpelt der Choreograf Tschaikowskis Klassiker von allem Märchenzauber und sucht ihn einem heutigen Publikum nachvollziehbar zu machen. Im ersten Akt gelingt ihm das überzeugend. Der spielt, in Jérôme Kaplans Dekoration, in einem cremefarbenen Zimmer unter jugendstilhaft ornamentierten Bögen und assoziiert, so das Programmheft, die Zeit um die Oktoberrevolution. Ein Sprecher hatte zuvor in die Geschichte von der Weihnacht bei den Stahlbaums eingeführt. Sehr musikalisch, sehr tänzerisch und mit viel Sinn für kleine Episoden entwickelt Duato das bunte Treiben: mit spielenden Kindern, parlierenden Erwachsenen, dann den von Drosselmeier mitgebrachten Puppen, darunter Arshak Ghalumyans bravouröse Moriske. Nach dem Ade der elegant umhüllten Gäste schlüpft Clara unter einer Sternschnuppe in jenes Traumland, in dem ihr zum Mann gewordener Nussknacker den Raumfahrer-Mäusekönig des Nikolay Korypaev ersticht, als wäre wirklich Krieg.

In diesem dreiseitigen, schwarzweißen Sternenkabinett wird der Nussknacker Prinz und tanzt mit Clara effektvoll raumgreifend den Schnee-Pas de deux. Unter hängenden Eiszapfen tummeln sich in ihren plastikglänzenden Tutus die Schneeflocken ohne Schnee in neoklassischem Gestus, dem Duato unterkühlt jede kitschige Süße austreibt, wie die Musik mit Kinderchor sie noch hat. Von irrlichternden Lampen befunzelt, endet das Solopaar Akt Eins. Dass Akt Zwei in derselben düster funkelnden Szenerie spielt, mag näher an Hoffmanns gespenstischen Intentionen sein als das übliche Leuchtfest in Schloss Konfitürenberg. Das Defilee der hier als verlebendigte Puppen apostrophierten Festgäste indes wird so, ohne grundierende Gruppe mit ihren Spieleinlagen, ein fades Divertissement. Selbst wenn Kaplan den Tanzminiaturen übergroße Requisiten zuordnet: einen hängenden Riesenfächer für den Spanischen; einen vielgliedrig fahrbaren Drachen für den Arabischen; ein Schirmgerüst für den Chinesischen; zwei Steuerräder für den von vier Matrosen folkloristisch virtuos bewältigten Russischen; ein Schichtherz schließlich für den als Schäferidyll gestalteten Französischen Tanz – Kinder mag das glänzend langweilen.

Choreografisch originell mit edlem Schlusstableau fällt der Blumenwalzer im gerasterten Raum vor einem auch als Kaktus deutbaren Pudding aus. Eisgrau färbt sich zum Grand pas de deux das Kabinett. Knifflige Schritte und attraktive Formen hat Duato für Iana Salenko und Marian Walter erfunden und damit ebenso ihr exponiertes Format im Staatsballett betont, wie er Sarah Mestrovic im Kurzauftritt als Spanierin zu einer rassigen Leistung geführt hat. Am Ende schmust Clara wieder zu Hause mit dem winzigen Weihnachts-Nussknacker, um ein Traumerlebnis reicher, dem Dirigent Robert Reimer zunehmend musikantischen Schwung gegeben hat.

Selbst wenn der Premierenjubel zu einer Demonstration geriet, welche Art von Tanz sich das Publikum auch zukünftig wünscht, ist ein künstlerischer Neuanfang unvermeidbar – die Kompanie hat ihn verdient. Dafür braucht es jedoch einen unbefangenen, einen wirklichen Kultursenator, der die Tänzer nicht bloß als willfährige Verfügungsmasse im Versorgungsschacher um eine chronisch unterfinanzierte, wiewohl überaus verdienstvolle Choreografin vom Gegenpol des Stilspektrums benutzt, sondern sie als Künstler mit Herz und Hirn respektiert und mit ihnen gemeinsam nach einer fairen Konfliktlösung sucht.

Wieder 19., 28.10., 11.11., Deutsche Oper, Bismarckstraße, Kartentelefon 20 60 92 630, www.staatsballett-berlin.de

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