Auf den „Ernstfall“ vorbereitet

Linda Waasdorp verabschiedet sich vom Ballett

Stuttgart, 20/06/2012

So schnell kann es manchmal gehen. Linda Waasdorp ist gerade mal 22, als ihr Ballettintendant Reid Anderson die Hauptrolle in Crankos „Schwanensee“ anvertraut. Die Karriere innerhalb des Stuttgarter Balletts scheint besiegelt, mit der Position als Halbsolistin ihre Erfolge in Kreationen von Mauro Bigonzetti, Bridget Breiner, Sebastian Geiger, Douglas Lee und Marc Sprading bekräftigt. Einem Höhenflug der Holländerin steht eigentlich nichts im Wege.
Wäre da nicht ihre rechte Schulter. Fünf Minuten bevor ihr Debüt als Odette/Odile das vorbestimmte Ende findet, kugelt sich Linda Waasdorp den Arm aus. Der Abgang von der Bühne erfolgt etwas abrupt, das Nachspiel etwas länger. „Nach fünf Stunden“, so erinnert sich das ehemalige Ensemblemitglied, „ist der Arm unter Vollnarkose wieder eingekugelt.“ Damit hat es sich allerdings nicht. Vielmehr markiert die Operation, die als Folge notwendig wird, den Beginn einer Leidensgeschichte, die die Tänzerin zwei Jahre lang in Atem hält. Denn kaum ist die rechte Schulter in Ordnung, muss die linke operiert werden.

Noch gibt Linda Waasdorp die Hoffnung auf ein Comeback nicht auf, als die Schulter ein weiteres Mal operiert werden muss. Als allerdings die rechte Schulter erneut Probleme bereitet und sich zusätzlich in den Füßen auch noch eine Arthrose im Anfangsstadium ankündigt, begreift sie nach zwei Jahren die Signale ihres Körpers: „Ich merkte, dass es einfach nicht mehr ging. Die Schulter war zwar wieder stabil, besaß aber nicht mehr die Beweglichkeit, die für typische Ballettbewegungen unerlässlich ist.“ Was sich vielleicht hätte verschmerzen lassen, wäre nicht aufgrund der vielen Operationen das Vertrauen in den eigenen Körper so geschwunden: „Ich hatte einfach Angst, meinen Arm in der Richtung zu bewegen, in der er rausgesprungen ist.“ Linda Waasdorp hat, wie sie sagt, die Möglichkeiten ihres Berufs immer realistisch eingeschätzt und deshalb nicht nur ihre Ausbildung am Koninklijk Conservatorium Den Haag mit einem Bachelor of Dance absolviert, sondern parallel dazu auch noch das Abitur abgelegt. Dass sie so darauf zurückgreifen muss, hat sie sich allerdings nicht träumen lassen. Immerhin: Sie war wach genug sich vorzustellen, was sie eines Tages machen würde – und insofern auf den „Ernstfall“, d. h. auf ihre Zukunft als Physiotherapeutin vorbereitet. Daran arbeitet sie derzeit an der VPT Hochschule Fellbach i. Gr. – University of Applied Sciences, die als Abschluss eines dreijährigen Studiums nicht nur einen Bachelor of Science in Physiotherapie anbietet, sondern ein Masterstudium vorbereitet, das auch außerhalb Deutschlands als Praxisvorbedingung anerkannt wird.

Doch bevor sie als Physiotherapeutin ihre Ballettschuhe an den Nagel hängt, will sie sie ein letztes Mal anziehen: am 22. Juni beim „Goodbye Stuttgart“ in der Stuttgarter Liederhalle, mit dem sich Jongky Goei als Veranstalter und Ballettabend in Richtung Berlin verabschiedet. Auf dem Programm ein Solo von großer Symbolkraft: der „Sterbende Schwan“ in der Fokine-Fassung, von Goei am Klavier begleitet. Danach ist das Ballett für Linda Waasdorp zwar nicht gestorben; schließlich will sie in ihr künftiges Tun ja ihre bisherige Berufserfahrung einbringen. Aber mit dem Tanzen ist dann wohl endgültig Schluss – und Linda Waasdorp 26.

 

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