Wenig Zauber mit dem Zauberer von Oz

Kinderspaß beim Staatsballett

Berlin, 15/03/2011

Bisher kannten wir Hollywood und Bollywood. Jetzt noch den „Hollybuddhismus“. Oder was sollte es sein, wenn in Anlehnung an ein berühmtes Kinderbuch samt noch berühmterem Film jetzt in einem Tanzstück mit 18 Bildern und 32 musikalischen Stationen die These durchgetanzt wird, dass der Weg das Ziel sei? Vier Dinge braucht der Mensch: Herz und Hirn und Mut und Heimat. Falls ein so entzückendes junges Menschenkind wie Dorothy auf ihrer Farm in der Prärie in Kansas das eigentlich alles auch hat, dann kann es aber sein, dass sie es gar nicht weiß, oder nicht so recht zu schätzen weiß. Ganz herzig nämlich spielt Klein-Dorothy mit Teddys und einem Roboter, dieweil Onkel Henry die Zeitung liest und Tante Em durch den blitzsauberen Haushalt tanzt. Drei nette, propere Burschen von der Farm sagen mal „Hallo“, wie sich‘s gehört für Staatstänzer in oberkörperfreiem Arbeitsdress.

Doch die Idylle ist bedroht. Ein Sturm zieht auf. Onkel Henry bringt die Seinen fürsorglich in Sicherheit. Nicht ohne mein Spielzeug! Dorothy kehrt noch mal um. Zur Salzsäule wird sie nicht, aber in einen wilden Wirbelsturm gerissen, samt Haus durch die Luft gewirbelt, guter Anlass für Tanz, Film und Video von fettFilm. Irgendwie muss das Kind ja auf jenen Weg gebracht werden, der nämlich, wie schon gesagt, das Ziel ist, und der auch – man ahnt das ja – hierher zurückführen wird. „OZ - The Wonderful Wizard“ hatte als neueste Produktion des Berliner Staatsballetts für die ganze Familie in der Komischen Oper Premiere. Giorgio Madia hat die Abenteuerreise in rasch wandelbaren Bildern von Cordelia Matthes choreografiert und inszeniert. Natürlich geben die Begleiter der Heldin da schon wunderbare Anreize. Die schlenkernde Vogelscheuche, der es an Hirn mangelt, ebenso wie der liebenswerte Mann aus Blech, der sich ein pochendes Herz wünscht, aber zunächst mal eine kräftige Ölung nötiger hat. Mit dem Löwen, dem es an Mut gebricht, ist das Quartett komplett: Auf zum Zauberer, der alle Wünsche erfüllen kann! Der weltweite Märchenfundus birgt für das mutige Kind die Zauberschuhe, überreicht von der guten Fee, deren böse Kollegin darauf scharf ist. Selbstverständlich sind die Munchkins dabei, putzige Zwerggestalten, außerdem die gierigen Krähen, die allerliebsten Feldmäuse im mohnblumenroten Feld samt gelber Katzenfeindin in Lack und Leder. Die Affen rasen durch den Wald und grün ist das Leben in Smaragdenstadt. Wir sind im Stück für Kinder, das Leben wird durch die grüne Brille betrachtet, nicht durchs Champagnerglas, wie sonst auf Opern- und Operettenbühnen.

Man kann sich‘s denken, eine Vielzahl von Anlässen gibt es zu tanzen, zu schlenkern, zu schleudern, zu springen, zu kriechen und ganz ausgelassen durch die Zauberwelt zu wirbeln. Ein wenig Show, ein bisschen Ulk, und schöne Einfälle auch, etwa den geduschten Löwen mit der frisch geföhnten Mähne. Die drei liebenswerten Gestalten Federico Spalitta, Artur Lill und Vladislav Marinov als Vogelscheuche, Blechmann und Löwe tanzen sich auch ganz schnell in die Herzen des Publikums, und ihre Starballerina Polina Semionova lieben nicht nur die Fans, deren Blumensträuße am Ende auf die Bühne fliegen. Es fällt aber der Semionova leichter, ein Schwan zu sein als ein Kind. Da unterlaufen dem Star doch ein paar Albernheiten und was kindlich oder naiv sein soll, wirkt manchmal kindisch. „Oz – The Wonderful Wizard“, das ist der Chef selbst. Vladimir Malakhov erfüllt erst mal sich selbst ein paar Wünsche und kommt sogar – wir wussten es ja längst – als weißer Schwan daher. Dann, das ist eigentlich die schönste Szene des Abends, da erwischen die unentwegten Vier den Star als müden, kleinen, abgeschminkten Menschen einsam in Liebestötern in der Garderobe. Er kann nicht zaubern, aber er kann andere dazu bewegen, den eigenen Zauber zu schätzen und genau das bei sich selbst zu finden, was man andernorts sucht. Und dann haben sie alles, was sie brauchen: Der Löwe ist mutig, unterm Blech schlägt ein Herz, die Vogelscheuche schlenkert künftig mit System. Klein-Dorothy wird nie mehr weggehen. Ist doch zu schön mit Onkel und Tante und den netten Boys von nebenan im Nirgendwo auf einer Farm in der Prärie von Kansas. Das ist es eben. Zu schön, zu glatt, um gut zu sein. Ist man im Theater für Kinder, auch im Tanztheater für Kinder da inzwischen nicht weiter? Und die Musik? Natürlich, Schostakowitsch. Und auch der nämliche Walzer aus der zweiten Jazz-Suite in etlichen Varianten, wieder und wieder. Und dann die vielen fröhlichen Schostakowitsch-Häppchen aus Balletten, Filmen und Suiten. Lautstarke Militanz des unentwegten Frohsinns bombardiert die Ohren. So kommt der Zauber, der diesem Märchen ganz sicher innewohnt, auch musikalisch zu oft unter den Hammer.

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern