„Mauro hier, Mauro da!“

Bigonzetti gastiert mit Händel und Strawinskys „Sacre“

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Baden-Baden, 08/04/2011

Stuttgart hat ihn 1996 für Deutschland entdeckt, als er für das Debüt-Programm des neuen Ballettchefs Reid Anderson „Kazimir's Colours“ kreierte (unvergessen: Margaret Illmann und Robert Tewsley) – damals ein 36-jähriger Nobody aus Italien. Seither reißen sich die deutschen Opernballette um Mauro Bigonzetti, müsste Rossini, wenn er eine neue Oper über das Ballett (warum nicht?) schriebe, unbedingt eine Arie für ihn komponieren: „Mauro hier. Mauro da!“ Inzwischen haben nach Stuttgart auch Berlin, Dresden, München, Dortmund und Hannover Kreationen von Bigonzetti im Repertoire, ist er in Ludwigsburg, Wolfsburg und Baden-Baden mit dem Aterballetto aus Reggio Emilia ein gern gesehener Gast. Wie auch in diesen Tagen wieder im Festspielhaus an der Oos, wo er mit seinem „Come un respiro“ und der Uraufführung seines „Le Sacre“ stürmisch gefeiert wurde.

Wie Cranko, so zeichnet sich auch Bigonzetti als ein ungewöhnlich vielseitiger Choreograf aus. Auch sein „Come un respiro“ (alias „Wie ein Atemzug“, könnte auch „Wie ein Seufzer“ heißen) ist zwar ein Händel-Ballett, aber ein Händel mit Pfiff zu diversen Stücken aus seinen „Suites de pièces pour le clavecin“. Eingespielt von Keith Jarrett, der ja besser als ein Jazzmusiker bekannt ist, benutzt Bigonzetti die Auswahl von Sarabanden, Couranten, Allemanden und Gigues zu einer Folge von Tänzen, die ihre historische Herkunft eher in Anführungszeichen setzen, als dass sie sich an deren Vorbilder halten. Und so ist das Ballett zu einer Visitenkarte der Kompanie geworden, die auf klassischer Basis mit allen möglichen Tricks aufwartet: ästhetisch berückenden Silhouetten-Effekten (stimmungssuggestiv beleuchtet von Carlo Cerri), Stop-and-Go-Überraschungen, ornamental verspielten Symmetrien (in absolut uniformer Ausführung durch die ungemein homogen trainierten Tänzer) und einem atemberaubenden Pas de deux, in dem die Ballerina gleichsam über ihrem mehr geahnten als gesehenen Kavalier schwebt).

Und dann also „Le Sacre“, die zweihundertundwievielte Version des Strawinsky-Nijinsky-Klassikers von 1913 (werden wir bis zum hundertjährigen Jubiläum 2013 wohl auf 250 kommen?) – weit entfernt von den ursprünglichen Bildern aus dem heidnischen Russland und der geopferten Jungfrau. Hier nun also als schamanisches Ritual wie von den Mitgliedern einer modernen Sekte (Scientology?) getanzt, exorzistisch beschworen von einer langbeinigen Frau, die ihre Jüngerinnen und Jünger in einen Paroxysmus der Gewalt peitscht, mit einem umrollten Kreis als magischem Finale. Wie Bigonzetti und die Tänzer von Aterballetto diese terroristische Attacke aus dem Boden stampfen (übrigens zu einer Einspielung unter Ernest Ansermet, der zu Diaghilews legendären Dirigenten gehörte), hat nichts von der elementaren Überwältigungswucht eingebüßt, die auch jetzt wieder die Besucher im Baden-Badener Festspielhaus wie ein Tsunami mit sich riss.

Am Ostersamstag, dem 23. April um 20.15 Uhr, sendet 3sat die Aufzeichnung von „Come un respiro“ und „Le Sacre“ aus dem Festspielhaus Baden-Baden und im Anschluss daran ein Filmporträt über Mauro Bigonzetti.

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