„Mauro hier, Mauro da!“
Bigonzetti gastiert mit Händel und Strawinskys „Sacre“
Uraufführung „Le Sacre“ von Mauro Bigonzetti im Festspielhaus
Noch vor wenigen Jahren gastierte Mauro Bigonzetti in der Regionalliga: Ludwigshafen und Lörrach waren Stationen des in Reggio Emilia beheimateten Aterballetto. Innerhalb kürzester Zeit hat sich der Choreograf vom Geheimtipp zum Gipfelstürmer der Ballettwelt entwickelt, hat die Herzen des Tanzpublikums in Stuttgart, Berlin, London, Montreal und New York im Sturm erobert. Bigonzetti ist nach wie vor in Deutschland begehrt: 2009 wurde er von den Festwochen „movimentos“ in Wolfsburg engagiert, jüngst hat ihn Festspielhaus Baden-Baden eingeladen. Hatte seine „Cantata“ bei einem Gastspiel des Ballett Montreal in Baden-Baden schon einen Vorgeschmack auf das Schaffen des Römers gegeben, feierte das Publikum den umtriebigen Choreografen nun für zwei bildstarke Choreografien: „Come un respiro“ zu Georg Friedrich Händels Cembalosuiten und, im Festspielhaus uraufgeführt, Igor Strawinskys „Le sacre du printemps“.
Bigonzetti ist ein Tänzer-Choreograf italienischen Zuschnitts: selbst- und traditionsbewusst stellt er sich gleichermaßen in den Dienst der Musik sowie der handverlesenen Tänzerpersönlichkeiten seines Ensembles. Beim Händel, einer von Keith Jarrett eingespielten Version der „Suites des pièces pour le clavecin“ (1720), fliegen ihm und den Bewegern die Einfälle nur so zu. Der Vorhang öffnet sich. In der Stille eine Kette von Tänzern, die sich individuell bewegen, verbunden durch die Hände und unsichtbar, dennoch wahrnehmbar, durch den gemeinsamen Atem. Erst dann setzt die Musik ein, die Gruppe löst sich in Paare und Solisten, die mit Funken sprühender Tanzlust die barocken Klangeskapaden verkörpern. Ein Hauch von Händel, ausgefeilt und punktgenau bis in die Übergänge von Auf- und Abtritten.
Etwas schwerer tut sich der Choreograf mit Strawinskys „Frühlingsopfer“ (1913). Auch hier beginnt der Tanz in der Stille. Vor rotem Hintergrund steht eine Tänzerin auf einem Bein. Das Opfer, umringt von einem Pulk am Boden liegenden Menschen, scheint sich mit grazilen, indisch anmutenden Armbewegungen dem bevorstehenden Ritual erwehren zu wollen. Noch kämpft sie um Standfestigkeit, doch mit dem Einsetzen der Musik verliert sie an Boden – sind die Umliegenden Stütze oder ziehen sie die junge Frau hinunter? Das Werk über ein Opferritual aus dem heidnischen Russland, das bei der Uraufführung in Paris ob seines provokativen Inhalts und der expressionistischen Form einen epochalen Theaterskandal entfachte, markiert die Schwelle zur Moderne. Weit über 200 Mal choreografiert, mehrfach filmisch umgesetzt, versucht Bigonzetti den Ballast der Rezeptionsgeschichte abzuwerfen. Er jagt in artistisch-akrobatischen Pas de deux und rasender Gruppensequenzen durch die Musik (in einer Einspielung unter Leitung von Ernest Ansermet, der schon zu Zeiten Diaghilews aktiv war). Am Ende das Anfangsbild: das mit Blut gezeichnete Opfer wehrt sich, versinkt zappelnd in der Menge. Blackout, Spot an, im Licht eines neuen Tages steht ein neues Opfer bereit. Die Spannung einer Tour de force entlädt sich in tosendem Applaus.
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