Frischer Wind bei „Tanzkonkret 2011“

Auftaktveranstaltung im Kölner Theater Orangerie im Volksgarten

Köln, 25/10/2011

Zumindest ein Versprechen konnte Maika Paetzold, die Kuratorin der zu neuem Leben erweckten Reihe „Tanzkonkret“, gleich am Eröffnungsabend einlösen: Die Vielfältigkeit von Kölns freiem zeitgenössischen Tanz zu präsentieren. An nur einem Abend brachte sie mit novaTanz, movingtheatre.de, Paolo Fossa, HeadFeedHands und Mara Tsironi eine Spannbreite künstlerischer Formen auf die Bühne der Orangerie, wie man sie in dieser Zusammenstellung bislang noch nicht gesehen hat.

Großartig, dass neben dem bekannten zeitgenössischen Bewegungsvokabular nun endlich auch ganz andere tänzerische und tanztheatrale Ansätze auftauchen. Mit „Schaufenster“ von Carmen Casagrande und dem trashigen „Carne Vale“ von Mara Tsironi wurden gleich zwei Site-specific-Produktionen auf die Bühne geholt. Für Carmen Casagrande von novaTanz waren es die ersten choreografischen Gehversuche. Während ihre Aktionen in den Schaufenstern der Stadt mit kleinteiligen Bewegungen funktioniert haben, konnte sich das für den kleinen Raum geplante Konzept auf der großen Bühne allerdings nicht durchsetzen. Da half auch nicht die radikale Verengung auf ein kleines Lichtquadrat und auch nicht der auf Intimität angelegte Kordon der stehenden Zuschauer.

Welch starke erzählerische Fähigkeit im zeitgenössischen Tanz liegen kann, zeigte das movingtheatre.de im Duett „Lie with me, lie to me“. Es ist die kurze Geschichte eines Paares, das zunehmend merkt, wie fremd man sich eigentlich ist. Tänzerisch virtuos erzählt von Lisa Gropp und Massimo Gerardi war dies der „klassischste“ Beitrag des Abends. Auch Paolo Fossa, Tänzer und Choreograf, setzte in seinem Solo „Regen“ auf die Ausdrucksfähigkeit des Tanzes – aber auf ganz andere Weise. Im Büroanzug und mit Aktentasche betritt er die Bühne, als nacktes animalisches Wesen verlässt er sie. Dazwischen steht die Wandlung eines Charakters, der sich entweder in Urzeiten zurückwünscht oder auf das Animalische in heutigen Existenzformen verweist. Eine gewöhnungsbedürftige Inszenierung mit sehr theatralen, ausdrucksstarken Bewegungen.

Eine Bereicherung für die Kölner Tanzszene ist das Duo Tim Behrens und Florian Patschovsky von HeadFeedHands. Sie sind keine Tänzer, sondern Akrobaten und Performer, ausgebildet an der Hochschule für Zirkuskünste in Brüssel. In einem Crossover von Akrobatik, Bewegungs- und Ausdrucksformen aus Tanz und Theater verleihen sie ihren kraftaufwendigen Hebe- und Stemmfiguren auf spielerische Weise eine ungewohnte Ausdrucksfähigkeit. In „(How To Be) Almost There“ werden Gefühle und Emotionen regelrecht auf die Bühne geschleudert. Das kommt gut an: Tosender Applaus. Dass Mara Tsironi für trashige Inszenierungen bekannt ist, hat sich inzwischen herumgesprochen. In der Orangerie werden die Zuschauer in die hinterste Ecke zum Geräteschuppen gejagt, um dort das Trashtheater „Carne Vale – Fleisch lebe wohl“ zu sehen. In kurzen Blackout-Szenen überschlagen sich literarische und soziale Bezüge und Zitate. Von Brechts Johanna der Schlachthöfe über den kölschen Karneval bis hin zur Ballettkritik reicht das Spektrum. Komischste Szene: Eine Ballerina versucht sich tanzend einen gelösten Spitzenschuh vom Fuß zu strampeln.

Mit einer ebenso ungewöhnlichen wie interessanten Zusammenstellung ist der Einstieg in die Reihe Tanzkonkret gelungen. Das Haus war voll, das Publikum begeistert. Das Interesse an weiteren Stücken war geweckt worden. Doch die weit schwereren Aufgaben liegen für Kuratorin Paetzold noch vor ihr: Die Reihe muss beim Publikum etabliert, die Bekanntheit von Tanzkonkret gesteigert werden. Dazu muss Tanzkonkret ein eigenes, unverwechselbares Profil entwickeln, um sich von anderen neuen Initiativen abzuheben, etwa dem MAD-Festival. Die Hauptaufgabe aber wird sein, mit der Reihe zum Profil von Kölns freier Tanzszene beizutragen.

Vorstellungen Tanzkonkret 2011 noch bis Dezember

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