Die bösen Schwestern mit den strammen Waden

„Cinderella“ von Stijn Celis – ein Märchentraum für Kinder und Erwachsene in der Jungen Szene

Dresden, 12/04/2011

Wir sitzen an vier Seiten um das Geschehen herum. Ein großes Quadrat ist die ebenerdige Bühnenfläche. Ein kleiner Teil Rasen. Ach ja, das Märchen: die Mutter ist tot. „Cinderella“, wir kennen es als „Aschenputtel“, ein hilfloser Vater, ein Mädchen an der Schwelle zur jungen Frau und das Trio infernal, Stiefmutter und Stiefschwestern. Horrorszenario. Drei massige Schränke, Symbole der Erinnerung, sind zum Teil schon im Boden versunken. Einen wird die Fee, hier die Muse, öffnen. Dann leuchten die Erinnerungen noch süßer, so süß wie goldenes Orangengelee.

Der belgische Choreograf und Bühnenbildner Stijn Celis hat diesen Traumraum für seine Sicht auf das Märchenballett „Cinderella“ zu Teilen der zugespielten Musik von Sergej Prokofjew entworfen. Das ist der Raum für die dunklen Träume der Angst, für die hellen der Freude und für die im Zwielicht der bösen Begierde. Fast alle Motive des Märchens, wie wir es kennen, kommen vor: Cinderella sticht sie alle aus auf dem Ball, den sie beim Glockenschlag um Mitternacht fluchtartig verlässt. Sie verliert den Schuh, sie wird gefunden, ein Traum wird wahr. Genau eine Stunde währt das Traumspiel und dann ist es klar, die Schuhe passen, der Tag beginnt, das Leben auch, für Cinderella und einen sympathischen jungen Mann, den man gern Prinz nennt und in dessen Armen die Einsame nicht wie ihre Märchenschwester mit den Schwefelhölzern erfrieren muss. Grimms Märchenwelt ist grimmig.

Stijn Celis öffnet in seinem Ballett für die Erwachsenen auch ein paar Psychokisten der Märchenwelt. Aber er macht das so geschickt, dass es den Kindern nicht die Lust an der Geschichte verdirbt. In seiner Choreografie mischt er gekonnt etliche Stile. Neben den großen Gesten der Überheblichkeit gibt es die der wärmenden, zarten Berührung. Die bei aller Zerbrechlichkeit starke Anna Merkulova in der Titelpartie ist hier ebenso fremd wie Guy Albouy als Prinz in seiner jungenhaften Männlichkeit. Natürlich macht es Spaß im Gegensatz dazu das Trio der Stiefmutter mit den hässlichen Schwestern auftrumpfen zu sehen. Die exzellenten Erzkomödianten Claudio Cangialosi und Jón Vallejo geben die exaltierten Zicken in Grau. George Hill in strengem Schwarz gibt als Mutter eine wunderbare Überzicke. Dabei kommen alle ganz ohne billige Gags aus, es sind eben die verdrehten Bewegungen, allein, im Duo oder im satanischen Trio, die uns lachen aber nicht lauthals prusten lassen. Glücklich sind die nämlich nicht, diese Mädels in schwarzen Männerschuhen. Den Vater gibt Oleg Klymyuk als machtlosen Traumflüchter, da tanzt er in schönsten Erinnerungen mit seiner Fee, die Ana Presta in Musenmanier auf Spitze oder elegantem Absatz zeigt. Zu einer besonderen Szene gestaltet sich der Kampf um den Schuh, da ist allen jedes Mittel recht, um sich da hineinzuzwängen - wie von Furien bedrängt stürzt eine Schar falscher Cinderellas dem Prinzen nach. Alle Doubles tragen Varianten des roten Ballkleides der Gesuchten. Catherine Voeffray hat die Kostüme entworfen. Sie arbeitet mit farblichen Gegensätzen, beschränkt sich aber auf wenige Signale, verwendet mitunter skurrilen Kopfputz für die Neider, unterstreicht die Natürlichkeit des glücklichen Paares, dem der Choreograf dazu einen wunderbaren Pas de deux schenkt.

Uns schenken die beteiligen Mitglieder des Semperoperballetts die Möglichkeit, sie erneut mit so neuen wie ungewöhnlichen Facetten ihrer tänzerischen Ausdrucksskala zu erleben. Das Ballett für Kinder und Erwachsene lässt keinen zu kurz kommen, daher ist der einhellige Applaus zur zweiten Aufführung alles andere als kurz.

www.semperoper.de

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