Mit wenig viel hermachen

Schlussbilanz von Dance 2010

München, 05/11/2010

Ach, was waren wir verwöhnt in den 80er und frühen 90er Jahren. München holte praktisch die gesamte hierorts noch unbekannte US-(Post-)Moderne nach und war gleichzeitig direkt am Puls der neuesten zeitgenössischen Tendenzen: Die Alabama-Halle preschte vor mit Altmeister Merce Cunningham und dem kanadischen New-Dance-Shooting-Star Edouard Lock. Bei den Theaterfestivals sah man Pina Bauschs Tanztheater Wuppertal, die belgische Senkrechtstarterin Anne Teresa de Keersmaeker mit ihrem damals frappierenden Minimal-Dance und die gesamte japanische Butoh-Tanzavantgarde. Ab 1987 war es Münchens Dance-Biennale, die alles versammelte, was in der Tanzwelt Rang und Namen hatte. Das diesjährige Dance, kuratiert – wie schon 1987, 1989 und 2008 – von der erfahrenen Bettina Wagner-Bergelt, war, der Krise sei Un-dank: die Kunst, wie man mit wenig viel her macht. Durchaus geschickt füllte die Kuratorin, hauptberuflich Staatsballett-Dramaturgin, ihr Programm auf: mit dem Staatsballett-Repertoirestück „Artifact“ von William Forsythe, einer öffentlichen Probe dieses Balletts, Vorstellungen der Münchner Iwanson-Schule und fünf ortsansässigen Choreografen. Und diese mit nicht sehr aufwendigen Produktionen. Auch bei den Gästen keine kostspieligen Ensemble-Arbeiten.

„Am Bildaltar“, eine Uraufführung des Berliner Duos Günther Wilhelm/ Mariola Groener, ist eine gleitende Folge von nachgestellten, fein ironisierten frommen Maler-Motiven. Eine volle Stunde lang formen sich sanft-behende Zweier- und Dreier-Figuren: andachtsvoll ergeben, das Aug' gen Himmel, mit offenen Armen den Segen von oben erhoffend oder im eingefrorenen Laufschritt dem Bösen entfliehend.

Der Algerier Rachid Ouramdane, zum ersten Mal in München, zeigte einen düster-reduktionistischen Solo-Abend zur eigenen Familiengeschichte – sein Vater kämpfte im Indochinakrieg für die Franzosen – und zu den Traumata anderer algerischer und vietnamesischer Opfer, die zugleich Täter waren. Zwischen den zugespielten fremdsprachigen Interviews mit Betroffenen (die deutsche Übersetzung als Leuchtschrift) und den von ihm selbst schnell und gepresst in ein Mikro gesprochenen Texten, Ouramdane ein paar Mal kurz und sparsam als verfremdeter Streetdancer. Der Katalane Cesc Gelabert, schon Ende der 90er Jahre hier mit seiner Rekonstruktion von Gerhard Bohners „Im (Goldenen) Schnitt“, kam jetzt mit dessen auch wieder von ihm neu aufgelegten „Schwarz Weiß Zeigen“. Bohner (1936-92) hatte übrigens diese streng geometrische Bewegungs-Recherche mit Gliederpuppe 1990 noch selbst in München getanzt.

Es ist also nicht so, dass man bei Dance 2010 nicht einiges gesehen und gelernt hätte. Aber der Biennale-Glanz war doch eher matt. Und da darf man schon unverblümt fragen: hängt 's allein am Geld? Oder nicht auch an einem gewissen Krea- Tief? Es fällt doch auf, dass die Rekonstruktion zur Zeit Konjunktur hat. Auch der Slowene Janez Jansa hatte ein, wie es auf Neudeutsch verkauft wird, „Re-Enactment“ mitgebracht. Die Choreografen von heute zehren sichtlich von den Werken der Vergangenheit. Oder retten sich hinüber in das Genre „Grenzgang“, in dem Tanz nur noch als Garnierung dient für (Auto-)biographisches, akademisch belehrende Textprojektionen, Soundeffekte und Videos. Und ob man sie nun gelungen findet oder nicht, handwerklich vielleicht gut gemacht, aber als Schau-Erlebnis öde – eine ganze Reihe dieser Dance-Abende hat mit Tanz fast nichts mehr zu tun. Fazit: Wenn sich im zeitgenössischen Verständnis Tanz und Theater nicht mehr unterscheiden und da ohnehin wenig Geld im Stadtsäckel ist, könnte man Dance- und SpielArt-Biennale genau so gut zusammenlegen.

heute und morgen: Ea Sola, Schwere Reiter, 19 Uhr; heute: Helena Waldmann, Carl-Orff-Saal, 19 Uhr 30 und Eszter Salamon, Black Box, 21 Uhr 30; morgen: Philip Bergmann, Muffathalle, 21 Uhr. Karten 0180/54 818181

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