Wie man sich an Worten verheben kann

Holger Bey scheitert mit dem Görlitzer Tanztheater an Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“

Görlitz, 26/09/2010

So richtig gezündet hatte Peter Handkes „Antitheater“ wohl nur zur Frankfurter Uraufführung 1966. Da gab es lautstarke Proteste gegen diese Spielverweigerung, gegen dieses eifernde Bilderverbot, gegen diese militante Verweigerung aller Illusionen, von Handlungen oder Geschichten ganz zu schweigen. Peter Handkes Stück hatte bald schon seine Schuldigkeit im bundesdeutschen Verdrängungsschwulst getan. Ein Jahr später bei der Westberliner Erstaufführung konstatiert der Kritiker Friedrich Luft, das „intelligente Sabbeltheater“ werde gutmütig aufgenommen, keine Spur von Gegenwehr, das Publikum hält still; angesichts eines Herrn, der schon nach zehn Minuten einschläft und bis zum Ende nicht erwacht, fragte Luft „Handke, was sagst du dazu?“.

Angesichts der Premiere des spürbar vom Zahn der Zeit angenagten Stückes und der dicken Staubschicht, die darauf aus Gründen gnädiger Konservierung ruht, fragt man sich jetzt in Görlitz, wer nur auf die Idee gekommen sein mag, ausgerechnet fünf Mitglieder des Tanztheaters mit solchen Unmengen von Text so gnadenlos wie voraussehbar in den puren Angstschweiß zu schicken. Das Programmheft nennt Holger Bey als Regisseur. Was er präsentiert, kann man gutmütig bestenfalls als Workshop-Ergebnis bezeichnen, als eine Reihe wiederholbar gemachter Übungsergebnisse in der Gruppe, allein, oder in wechselnden Konstellationen mit ein paar illustrativen Tanz- und Bewegungseinlagen. Die provokant gemeinte Ankündigung, dass hier kein Funke von den Darstellern zum Publikum überspringen werde, ist schon wahr, bevor sie ausgesprochen wird. Hier wird das Theater gefesselt, der Zuschauer nicht. Was sollen denn Handkes Theaterschimpf von der Zerstörung des Illusionsraumes Theater bewirken, wenn man schnell den Eindruck gewinnen muss, hier stehen fünf Tänzerinnen und Tänzer alleingelassen mit einem unverdauten Vorrat an Massen von Worten, die sie vertraglich zu liefern haben. Zur Not auch, gegen Ende in stärkerem Maße, ist ablesen erlaubt.

Aber das alles will gelernt sein. Tänzer mögen sich synchron bewegen können, chorisch zu sprechen ist auch eine Kunst und kein Hobby. Hier fehlt leider ein überzeugender Zugriff auf den sprachlichen Reiz dieser Kaskaden, hier fehlt die subversive Handlung in der Handlungsverweigerung. Das lustvolle Spiel mit der Verbannung des Spiels kommt zu kurz. Hier fehlt bei allem Misstrauen Handkes gegen bestimmte Formen des Theaters doch die große Lust am Theater selbst, denn immerhin hat er seine Publikumsbeschimpfung ja für die Bühne und nicht für den persönlichen Gebrauch geschrieben. Was seinerzeit zur Uraufführung als „Nicht-Inszenierung“ durch Claus Peymann zu einem Kapitel deutscher Theatergeschichte wurde, wird nun in Görlitz zu einem Missverständnis, denn von der Doppeldeutigkeit dieses letztlich eben doch zu inszenierenden Paradoxons, das Handke - leicht kokettierend - gerne als Boulevardstück sähe, bleibt lediglich eine Fleißarbeit.

Zum Drama wird hier nichts, weder das Spiel der Tänzerinnen und Tänzer untereinander auf der kleinen Bühne des Tanztheaters im Apollo, noch das Verhalten des zahm beschimpften Publikums. Alles eben doch Theater, das Üblichste vom Üblichen - schlag mich, aber tu mir nicht weh. Irgendwann gibt es für Simone Rabea Döring, Steffi Sembdner, Maria Zimmermann und Bill MacQueen nur noch kräftezehrendes Spiel im Wettlauf mit der Zeit bis zum Ende des Stückes. Der finalen „Beschimpfung“ geht bei aller Bedeutungsversessenheit, als letzten aller möglichen Rettungsanker der Darsteller, die Puste aus. Eine amüsante Ausnahme gibt der Tänzer Sebastian Fiedor, wenn er immer wieder mit lässigem Charme lustvoll Zähne zeigt, frech grinst und in rasendem Tempo eine Textpassage auf Polnisch exekutiert. Da blitzt etwas auf von jenen zweckfreien Albernheiten, mit denen man einen ursprünglich so geradewegs zweckgerichteten Text doch noch hätte auf tanzende Beine helfen können. 


Nächste Aufführungen: 1., 2., 6., 7., 15., 16. Oktober 
www.theater-goerlitz.de

 

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