Schweben und kleben

Das movingtheatre Köln erinnert mit neuem Stück an den antiken Erfinder „Daedalus“

Köln, 27/03/2010

Er war ein genialer Erfinder und Architekt. Aber erst seine spektakuläre Flucht mit Flügeln aus Federn und Wachs macht Daedalus und vor allem seinen Sohn Ikarus weltberühmt. Der kam der Sonne zu nah, das Wachs schmolz, er stürzt zu Tode. In der griechischen Mythologie eine Strafe der Götter für Daedalus, der seinen Neffen tötete, weil der genialer war.

Heute würde man von einem unvermeidlichen Kollateralschaden sprechen, den technischer Fortschritt und gesellschaftlicher Wandel erforderten. Für das movingtheatre Köln ist Daedalus damit der erste moderne Mensch, eine tragische Figur zwischen Genie und Wahnsinn, die ebenso oft Träume erfüllt wie Verhängnis verbreitet. Mit „Daedalus/ Dreams“ hat Choreograf Emanuele Soavi nach Motiven aus Ovids Metamorphosen zu diesem Spannungsfeld ein hochdramatisches Tanztheater geschaffen, das in der Alten Feuerwache Köln-Premiere feierte.

Zwei Tänzerinnen, zwei Tänzer und einen Schauspieler schickt er auf den Weg durch ein Labyrinth von Verführung und Sehnsucht. Die Bühne von Gianni Guidi ist genial minimalistisch gehalten (Flügel, Propeller, Federn). Die Musik von Han Otten nach Violinsonaten von Telemann ist fesselnd, treibt Inhalt wie Aktion gleichermaßen voran. Fast zwei Stunden wird getanzt, wie man es schon lange nicht sah, leidenschaftlich, ambitioniert und eindringlich.

Wenn sich Adam Ster als Daedalus vom Boden hochstemmt, dann liegt schon in dieser flüchtigen Bewegung eine Demonstration seiner Macht. Choreograf Soavi schafft Bilder von ungewöhnlicher Eindringlichkeit. Etwa wenn Nicolas Robillard als Minos die hochfliegende Pasiphae in einem Duett tänzerisch zu erden versucht und die in Liebe zu einem Stier Entbrannte noch davonstrebend am Fuße hält. Nao Tokuhashi tanzt diese Rolle überzeugend und begeistert wieder einmal mit ihrer tänzerischen Natürlichkeit voll Perfektion und Ausdruckskraft. Daedalus schafft Pasiphae schließlich die Möglichkeit zum Liebesakt mit dem Stier. In Nao Tokuhashis Solo wird die Szene der Zeugung und Geburt des Minotaurus, der menschlichen Kreatur mit dem Kopf eines Stieres, zu einem Akt beklemmender Zärtlichkeit.

Auch wenn im zweiten Teil das Stück recht textlastig wird, der Erzähler (Stefan Bohne) viele englischsprachig überfordert, dominiert doch der Tanz. Ständig sind die Akteure gefordert, mal in synchronen Formationen, als Quartett, in Reihe, parallel am Boden oder sich solistisch ihren Platz erkämpfend. Momente der Ruhe sind da eher selten. So müssen den Tänzern erst die Füße am Boden festgeklebt werden, bis auch die quirlige Nora Sitges-Sardà sich nur noch gezähmt aufbäumt. Use your fantasy, fordert der Erzähler als Problemlösung von ihr, sonst gibt es keinen Fortschritt, no progress. Die Inszenierung übt allerdings nur sehr mäßige Kritik an einer Fortschrittsgläubigkeit. So bleibt am Ende nur die rhetorische Frage aus dem Programmheft, ob wir nicht alle ein bisschen Daedalus sind: Verführte und Verführer.

www.movingtheatre.de

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern