Christian Spuck schreibt sich in die Ballettgeschichte ein

„Leonce und Lena“ beim Stuttgarter Ballett

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Stuttgart, 18/11/2010

Endlich! Vierzig Jahre nach Crankos „Der Widerspenstigen Zähmung“ hat Christian Spuck mit „Leonce und Lena“, Ballett in zwei Akten nach dem Lustspiel von Georg Büchner, der Stuttgarter Kompanie eine Ballettkomödie von Weltformat beschert. Die in ihrer choreografischen Substanz über Cranko hinausgeht und aufschließt zu den Klassikern des Genres à la Massine/Béjarts „Gaité Parisienne“ und Ashtons „La Fille mal gardée“. Was ihre Erstversion, 2008 beim Essener Aalto-Ballett vermuten ließ, bestätigte jetzt die Stuttgarter Erstaufführung: ein Ballett als ein Feuerwerk der Pointen, lustig bis clownesk, ironisch, sarkastisch, mit einer gehörigen Portion Duodez-Nostalgie und einem Schuss Melancholie für eine putzmuntere Solisten-Equipe und lawinenartig eskalierende Corps-Arrangements. Und das Ganze angerichtet zu einer moussierenden, die Füße und sonstigen Gliedmaßen geradezu elektrisierenden musikalischen Assemblage aus Johann Strauß, Vater und Sohn, via Delibes, Paganini, Mendelssohn und wer weiß wem bis zu Bernd Alois Zimmermann, Martin Donner und Alfred Schnittke, von James Tuggle und den Staatsorchestralen mit Schmiss und funkenstiebender Bravour gezündet als handelte sich´s um einen satirischen Epilog zur jüngsten Stuttgarter „Fledermaus“-Produktion (nebst deren choreografischer Vulgär-Erotik).

Und alle amüsieren sich prächtig. Die beiden wonneproppigen Protagonisten, der so ausgesprochen aufregend gelangweilt-blasierte Dandy William Moore, ein richtiges Schmuseköpfchen, als Prinz Leonce und die schmollmündig-pikierte Katja Wünsche als Prinzessin Lena, der Commedia dell´arte-springteuflische Alexander Zaitsev als Valerio und die adrette Anna Osadcenko als appetitanregende Rosetta, die diktatorisch sich in Szene setzende Gouvernante von Alicia Amatriain und der vergessensschusselige König von Damiano Pettenella. Nicht zu reden von all den Hofschranzen und affektierten Gesellschaftsdamen nebst den krachledernen Wirtshausburschen und ihren Madeln, von Emma Ryott in blitzsaubere Kostüme und Uniformen gesteckt und mit abenteuerlich getürmten Perücken versehen! Welch eine Versammlung schrulliger, kauzig-vertrottelter Typen – Spuck sollte, mit Ryatt als Designerin, ein Spitzweg-Ballett für sie choreografieren: wie wär´s denn mit dem „Kleinen Hofkonzert“ von Paul Verhoeven (mit der Musik von Edmund Nick)?

Überhaupt Spuck! Wie ist er als Choreograf gewachsen – über Cranko hinaus und dessen doch sehr englische Pantomimen-Komik (gerade in der „Widerspenstigen“ und in der Tattergreis-Gesellschaft des Balls bei Larina – während ihm Cranko in den Pas de deux noch überlegen ist). Was sich in seinem „Sandmann“ und in seiner „Lulu“ (dort namentlich in den Ensembles) ankündigte, hat sich hier nun aufs Glänzendste erfüllt. Ich wünschte mir mehr Schostakowitsch-Ballette von ihm (die Suiten!). Und gut könnte ich mir von ihm einen Wiederbelebungsversuch der Berliner Ballette (à la „Flick und Flock“ oder „Satanella“) von Paul Taglioni vorstellen. Wäre doch prima, wenn er den Berlinern zu einer Taglioni-Renaissance nach dänischem Bournonville-Vorbild verhülfe. Aber dazu müsste man die Berliner Staatsballett-Direktion erst einmal von ihrem unseligen antiquierten Russen-Kurs abbringen!

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