Der Mond geht auf, die Post geht ab

An den Landesbühnen feiert ein Ballettabend erfolgreich Premiere

Radebeul, 20/12/2010

„Irgendwas bleibt“, so lautet der Titel des neuen Abends der Radebeuler Kompanie auf der Studiobühne, deren erster Teil zur Musik von „Silbermond“ der Textzeile „Gib mir in dieser schnellen Zeit irgendwas, das bleibt“ von der CD der „Verschwende deine Zeit“ der erfolgreichen Deutsch-Rock-Gruppe aus Bautzen folgt. Der Tanz als eine Kunst, die sowohl dem Tempo als auch der Verzögerung, mitunter sogar dem bewegten Stillstand, dem Detail, dem Dialog, der zutiefst aufmerksamen Wahrnehmung vor allem verpflichtet ist, erweist sich als fantastisches Mittel, dem Phänomen der Zeit als Chance nachzugehen. Choreograf Reiner Feistel nimmt zunächst reale Situationen des Alltags junger Menschen zum Ausgang seiner Tanzassoziationen zu den ja ebenfalls an Erfahrungen des Alltags zu messenden Songs von „Silbermond“. Die werden verbunden mit abstrakten Klangbildern von „Kammerflimmer Kollektief“ und bilden den Sound des ersten Teils. Es folgt dann „silent poem“ zu Kammermusik von Arvo Pärt in freien Assoziationsreihen einem abstrakten Ansatz in der Beschäftigung mit den Phänomenen von Nähe und Distanz, Begegnung und Einsamkeit, Stillstand und Vergehen.

Zunächst also das Spiel mit dem Bekannten und die unterhaltsame Verführung zur Entdeckung des Unbekannten oder sogar Unbewussten. Sechs Schülerinnen, drei Schüler, ein Lehrer. Immer wieder Schmunzeln bei den Zuschauern, wenn Jiri Sieber seiner „Klasse“ den Rücken zuwendet und an auf oder auch unter den Schultischen genau das geschieht, was jeder erwartet. Aber dann, in weiteren Sequenzen, die uns mit einiger Fantasie in die Freiheiten der Träume führen, die dem geregelten Alltag ein Schnippchen schlagen, begegnen wir den Typen von der Schulbank in immer anderen Konstellationen. Verspielt und ernst, mit Muskelkraft und Sprunggewalt die Herren, mit charmanter Eleganz und Varianten der Verführungskunst die Damen, bei ihren ganz unsentimentalen und daher so berührenden Versuchen die Aufmerksamkeit des anderen oder der anderen zu gewinnen. Humor mit coolen Boys und ausgelassenen Girls, schöne Ironie, wenn den wunderbar auftrumpfenden Herren Friedemann Kriener, Till Geier und Norbert Kegel der Song „Mach's dir selbst“ entgegen klingt und sich die so ganz unterschiedlich agierenden Damen Helena Gläser, Anna Paunok, Sandy Ehm, Mu-Yi Chen, Sandra Resende und Tiphaine Appelhans sich darauf ihre getanzten Reime machen. Reiner Feistel hat da in einer gelungenen Mischung unterschiedlicher Tanzstile Aspekte der Pantomime ganz staubfrei eingesetzt, neoklassische Variationen wie selbstverständlich mit Inspirationen des Hip-Hop und des Break-Dance verbunden und seine bestens aufgelegten Protagonisten in Irina Steiners angedeutetem Klassenzimmer der Lebensschule zum Tanz geführt, in dem es manchmal um das Nächstliegende junger Menschen geht und dann auch im harten Bruch durch die Zuspielung von aktuellen Nachrichtenmeldungen ums Ganze. Dann dreht sich der Tanz nur um Fälle, die alles zu Fall bringen könnten. Aber so wie die Musiker von „Silbermond“ ansingen gegen die Fallen des Alltags, wird auf der Studiobühne in Radebeul beherzt wie gekonnt dagegen angetanzt.

Teil zwei dieses am Ende begeistert aufgenommenen Abends bringt Kammertanz vom Feinsten. Drei Sequenzen „Spiegel im Spiegel“ für Violine und Klavier von Arvo Pärt hat der Choreograf für ein höchst eindringliches Duo gewählt, in dem es letztlich im Gegenüber der Tänzerin und des Tänzers um Spiegelungen geht, die sich aber weniger auf Formen der äußeren Erscheinung beziehen. Anna Paunok und Patrick Finger vermögen es, die Konzentration der Musik aufzunehmen und umzuwandeln in eine spannende Abfolge abstrakter Bewegungsverläufe. Aufgrund der Übereinstimmung aus Klang und Körperbildlichkeit entsteht keine Ablenkung der Zuschauer durch die Provokation von Fragen nach Sinn oder Zweck. Ein Duett aus Beziehungsvarianten, Momenten der Einsamkeit zu zweit und der Erfüllung allein, Sehnsucht und Verzicht, Sekunden der Freiheit völliger Zwecklosigkeit aus Musik, authentischer Bewegung und Übereinstimmung mit dem Zuschauer. Großes Theater in der kleinen Form, der Tanz macht's möglich, hier bleibt nicht irgendwas sondern die Erinnerung an zwei bewegte Stunden, die wie im Fluge vergehen.

Nächste Aufführungen: 26.12., 30.12.; 08.01., 30.01., 04. 03., 24.03., 17.04. 2011
www.dresden-theater.de

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