Reiner Feistel
Reiner Feistel

Der Tanz durch wunderbare Welten

Die Landesbühnen Sachsen verabschieden ihren Choreografen Reiner Feistel mit einer fulminanten Gala

Reiner Feistel geht als Ballettchef nach Chemnitz. Carlos Matos will den Chefchoreograf ersetzen.

Radebeul, 09/07/2013

Der Tänzer und Choreograf Reiner Feistel wurde 1958 in Altenburg geboren. Zehn Jahre später wurde, gesungen von Luis Armstrong, ein Titel veröffentlicht, der zum Welterfolg wurde: „What A Wonderful World“. Wiederum zehn Jahre später schloss Rainer Feistel seine Ballettausbildung in Leipzig ab. Es folgte ein Engagement in Dresden beim Ballett der Staatsoper. Dann wurde er Solist, tanzte in der Semperoper und präsentierte dort ab 1996 erste choreografische Arbeiten.

Reiner Feistel und die wunderbare Welt des Tanzes, das ist eine Erfolgsgeschichte, eine Lebensgeschichte, eine Liebesgeschichte sowieso. Was passte da besser an einem Abend, an dem es gilt, diese wunderbare Geschichte an einem entscheidenden Wendepunkt zu würdigen und zu feiern, als eben jener Song von Armstrong, gesungen von einem gestanden, lebenserfahrenden Kerl mit der unverwechselbaren rauen Zärtlichkeit in der Stimme. Nach seiner Karriere als Tänzer beim Ballett der Semperoper nämlich übernahm Reiner Feistel die Position des Chefchoreografen des Balletts der Landesbühnen Sachsen. Waren seine Auftritte als Tänzer stets ein großes Vergnügen, so wurden es die vielen, vielen Choreografien, die er für die 13-köpfige Kompanie kreierte erst recht. Ganz ohne heitere Momente geht es nicht. Ganz ohne Augenzwinkern auch nicht, Feistel hat den Humor nicht nur auf der Zunge, er hat ihn auch im Körper.

Am Sonntag wurde Reiner Feistel nach 16 Jahren mit einer Gala im Radebeuler Stammhaus verabschiedet. Unter dem Titel „Danke“ ging eine große Abschiedsshow über die Bühne mit Ausschnitten aus 16 Jahren, in denen für die große Bühne, für die Studiobühne, für die Felsenbühne in Rathen, für die Bühne im Dresdner Zwinger, für Kirchen und viele, viele Spielorte bestimmt an die 50 Choreografien entstanden sind, die in weit über 1500 Vorstellungen getanzt wurden. Das Publikum kam. Das Ballett war die sichere Bank der Landesbühnen, besonders beliebt die Handlungsballette von Rainer Feistel, seine Art auch Klassiker wie „Schwanensee“, „Giselle“, „Coppélia“, „Romeo und Julia“ oder Strawinskys Welterfolge „Der Feuervogel“ und „Le Sacre du Printemps“ zeitgemäß zu tanzen.

Immer wieder erschuf er jene wundervollen Welten, nutzte die Mittel und Maße der neoklassischen Tanzsprache und suchte erfolgreich Verbindungen zu den aktuellen Stilen der Zeit. So gelang es ihm mit der Zeit zu gehen, zeitgemäß zu tanzen, man konnte gar nicht auf die Idee kommen, dass hier ein Künstler der Zeit hinterher springe. Elemente des HipHop, die Technik des Moonwalk, dann wieder, humorvoll gebrochen, die Machoelemente stolzer Tangotänzer oder die Belebung der Tanzpantomime bis in den Schleudergang der absurden Groteske – Alles fügte sich in die Tanzpoesie der großen Geschichten oder gaben den kleinen Geschichten des Alltags in den intimen Studioproduktionen ein besonderes Maß der Würdigung.

Das weiß das Publikum nicht nur in Radebeul zu würdigen. Zur Abschiedsgala ist der Saal ausverkauft. An der Kasse steht eine Warteschlange. Es werden zusätzliche Stühle in den Saal gestellt, man wartet gern, und dann geht's los. Erinnerungen an 16 Jahre, manche im Film, die meisten original, getanzt von den 13 Mitgliedern des Balletts der Landesbühnen Sachsen. Und Reiner Feistel, dem dieser Abend gilt, ist mittendrin. Als Kabarettist interviewt er sich selbst, als verschusselter Handwerker macht er Slapstick in Slow Motion und in Erinnerung an die Zeit als Tänzer in der Semperoper kommt er auf dem Fahrrad auf die Bühne. Da sind sie wieder, die Erinnerungen. Am 18. Juni 1995 nämlich drehte er hier auch fröhlich seine Fahrradrunden in John Neumeiers Choreografie „Mozart“ und Themen aus „Wie es Euch gefällt“. Fast 20 Jahre später stellt er das Fahrrad ab auf der Bühne in Radebeul, und als gelte es verträumt zurück zu blicken auf die vielen Stationen in jener wunderbaren Welt des Tanzes, die es bisher in seinem Leben gab, beginnt er wieder zu tanzen. Und jetzt eben zu jenem Song mit der unverwechselbaren Stimme von Armstrong. Aber, wie Reiner Feistel in diesen Momenten tanzt, in Hochform kommt, springt und dreht, das ist wohl der wunderbarste Moment an diesem Abend voller wunderbarer Momente. Zuvor hatte er schon mal richtig Zucker gegeben. In einem Solo, in verschmitzter Verehrung an einen großen Tänzerkollegen und einen der bedeutendsten tanzenden Choreografen des 20. Jahrhunderts: Feistel liefert einen wilden Tanz mit einer Puppe, na klar, so wirbelte Rudolf Nurejew Miss Pig durch die Muppet Show, und so verliebte sich Roland Petit in seine Coppélia-Puppe.

Am Ende dieses Abschiedsabends noch einmal solistische Poesie und die elementare Kraft der Radebeuler Kompanie in Szenen aus der letzten Choreografie, „Carmina Burana“. Dann zurück zum Beginn, in die Sommernachtsträume des Zauberschelms Puck. Und dann noch mal mit Gefühl, die Kompanie bildet ihrem Zaubermeister eine Gasse. Ein Solist kommt mit der Laterne, Reiner Feistel bläst das Licht aus. Dann geht es an, im Saal und auf der Bühne, großer Jubel, großer Dank, ein Abschied mit Aussicht. Reiner Feistel geht als Ballettchef nach Chemnitz, er wird neue, wunderbare Welten schaffen. Fortan mit 22 Tänzerinnen und Tänzern, auf wesentlich größeren Bühnen. Also, dann, glückliche Reise, auf nach Chemnitz. Und ebenfalls gute Reise − dieser Wunsch gilt dem Choreografen Carlos Matos. Er wird künftig neue Tanzwelten mit 13 Tänzerinnen und Tänzern in Radebeul schaffen. Und das hat ja dieser Abschiedsabend auch bewiesen, die 13 ist ganz und gar keine Unglückszahl − jedenfalls nicht, wenn es sich um 13 Tänzerinnen und Tänzer handelt, wie sie an diesem Abend zu erleben waren.
 

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