„Eulogy“ von Luana Rossetti, Tanz: Gavin Law (vorn), Ensemble

Unser aller Kämpfe

„Superhero(es)" an den Landesbühnen Sachsen in Radebeul

Was ironisch beginnt, ist ein Tanzabend, der sich langsam zu einem fulminanten Ringen um die Existenz an sich steigert.

Dresden/Radebeul, 14/01/2023

Zugegebenermaßen mag man den Titel „Superhero(es)“, den Natalie Wagner, Leiterin des Tanzensembles an den Landesbühnen, für diesen Abend gewählt hat, als etwas brüchiges Eis betrachten. Zu nah liegt die Gefahr, hier in Klischees abzugleiten. Seien es Comics mit Helden in Strumpfhosen oder deren Parodie oder Überhöhungen alltäglich banaler Phänomene bis zum Kitsch. Tatsächlich führt der Titel aber aufs Glatteis. Entstanden ist hier ein vielfältiger Abend mit unterschiedlichsten Reflexionsansätzen, sowohl intellektuell als auch in der choreografischen Umsetzung.

Den Auftakt macht eine Völkerwanderung: Das Publikum wird zunächst vom Foyer der Studiobühne hinüber ins Glashaus geleitet, wo eine „retrospektive Live-Ausstellung“ informativ „aussterbende menschliche Verhaltensweisen“ darbietet. Was da erlebbar gemacht wird, sind streng genommen, bereits ausgestorbene Gebaren. Ausgestorben deshalb, weil sich das Setting selbst im Jahr 2123 positioniert. Und wie dann jemand als Kuriosum gilt, der in papiernen Büchern schmökert, hat es ja bereits heute in gewissen Kreisen einen leichten Anflug von Nostalgie, Printmedien zu rezipieren. Genau so ausgestorben dürften dann auch die Anderen sein, die Frau, die sich nach der Wärme menschlicher Berührung sehnt, oder jene, die sich gern mit Fremden unterhält. Dem mag man erst mal etwas verunsichert gegenüber stehen. Der Einsatz der Mitglieder des Tanzensembles lässt das Eis aber ziemlich schnell tauen. Spätestens bei der völlig albern verzerrten Enten-Polonaise, bei der einem fast die Ohren zu bluten beginnen, herrscht beim Premierenpublikum breites Grinsen. Und als sich das Ensemble in den Fahrstuhl des Glashauses zwängt, gibt es kein angestrengtes Gesicht mehr.

Dieser lockere Auftakt geht an diesem Abend über zur ersten Choreografie, dann tatsächlich doch auf der Studiobühne. Das Zepter für die einzelnen Arbeiten haben hier Mitglieder des Ensembles übernommen. Das Konzept der „Ausstellung“ stammt von Gavin Law; für den nächsten Teil übernahm Aurora Fradella die Choreografie. Leider muss man sagen, dass ihr „D.N.D. ON! (Do Not Dwell On)“ sowohl konzeptionell als auch hinsichtlich des Bewegungsmaterials äußerst dürftig ausfällt. Um einen überdimensionierten Spielwürfel kommt eine Art Games-Community zusammen, die in inneren Monologen und Dialogen aus dem Off ihre ganz eigene Quest durchziehen. Kleine schwarze Masken, die an Batman erinnern, wirken dabei etwas unfreiwillig kindlich. Teils in Richtung Pantomime kippend bleibt alles beliebig und ohne konkrete Aussage.

Einen Gang höher schaltet da schon Anja Neukomm mit ihrem „Means Within“, für das sie ein ganz schlichtes, klares Bild wählt: Ein Tänzer (Igor Brandi), in grüner Latzhose und gelben Gummistiefeln, will eigentlich nur mal quer rüber über die Bühne, um mit seiner großen Gießkanne eine Grünpflanze zu wässern. Ganz simpel, eigentlich. Das allerdings schafft er erst zum Schluss, denn in einem komplexen Gefüge aus Widersprüchen und Kämpfen stellt sich ihm eine Horde grauer Gestalten in den Weg, die ihn genau davon abhalten wollen. Das sind im Wortsinn Anti-Körper, die wunderbar ausgefeilte Gruppendynamiken entstehen lassen, die immer wieder organisch ineinandergreifen und eine Offenheit schaffen, die es ermöglicht, diese Konstellation als alles Erdenkliche zu lesen, das die Pflanze und den Akt des Wässerns mit Symbolcharakter auflädt oder als Metapher lesen lässt. Das funktioniert tadellos. Ob das Ganze schlussendlich als „heldenhaft“ bezeichnet werden kann, darf offen bleiben.

Damit kann das Publikum entspannt in die Pause gehen. Dabei sollte man unbedingt die Gelegenheit nutzen, an der frischen Luft tief durchzuatmen. Denn für den letzten Teil, für Luana Rossettis „Eulogy“, sollte man sich wappnen. Rossetti gehört nicht zum Ensemble; Natalie Wagner hat sie bereits vor einiger Zeit kennen- und ihre Ansätze als Choreografin lieben gelernt. Rossetti tanzte in der Vergangenheit unter anderem bei Maura Morales in Düsseldorf. Was sie hier mit absolut sicherer Hand auf die Bühne knallt, ist eine düstere Gemeinschaft, wie sie Sartre und Camus beklatschen würden, ein Mikrokosmos, so schmutzig wie Houellebecqs Gesellschaftskritik. In einem spärlich erleuchteten Raum, dessen Boden mit dunkler, loser Erde bedeckt ist und der allein durch das Licht strukturiert wird, breitet sie eine bedrohliche Atmosphäre aus, die sich über die gesamte Dauer des Stücks primär aus starken zeitlichen Verzögerungen des Bewegungsvokabulars zusammensetzt. Von Zeitlupe ließe sich dabei aber nicht sprechen. Diesen Licht-Raum eröffnet Marianne Reynaudi in einem schlichten weißen Kleid, sichtbar innerlich zerrissen. Das Programmheft spricht hier von Erwartungen Anderer, die an uns gestellt werden, von der Befreiung von negativen Gefühlen. Zu dieser Befreiung strebt hier alles hin. Alles ist ein ewiger Fluss, ein Fließen der Sehnsüchte, so treibend wie auch getrieben. Teilweise an Albträume grenzend brechen die inneren Kämpfe aus den Verzögerungen körperlich heraus und kontrastieren verstörende Brutalität mit zutiefst ergreifender Zärtlichkeit. Die Kostüme, die Reste einer Zivilisation zu zitieren scheinen, verlieren durch die Erde immer mehr an Eigenheit. Alles und jeder wird zu einer dreckigen Masse, einer Einheit, die mit allen Sinnen um nichts Geringeres als die Existenz an sich ringt. Dessen Zeuge zu werden, tut geradezu weh. Entziehen kann man sich dem nicht. Es ist, als wäre alles ein einziger Moment, die Essenz einer komplexen Auseinandersetzung, aus der alles Überflüssige rausgeschmissen worden wäre. Die Landesbühnen können sich glücklich schätzen, ein solches Stück im Repertoire zu haben.

 

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