Zwei verschiedene Spielarten des à la française

„Raymonda“ und „Clavigo“ auf DVD

oe
Stuttgart, 06/10/2009

Zwei neue Ballett-DVDs von Arthaus Musik, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten: Glasunow/Petipas „Raymonda“, der Zarenklassiker aus dem Jahr 1898 – als „Dancer‘s Dream“ des damals 35-jährigen Rudolf Nurejew zu seinem Dienstantritt 1983 als Chef des Pariser Opéra Balletts einstudiert (auf 107 015, 83 Minuten) – und „Clavigo“ des 75-jährigen Roland Petit Ballett zum Goethejubiläum von 1999, ebenfalls mit den Solisten, dem Corps de Ballet und dem Orchester der Pariser Opéra (auf 107 092, 87 Minuten). Frankreichs Nummer-Eins-Kompanie am Beginn der Ära Nurejew (bis 1989) – und die gleiche Kompanie mit anderen Solisten in der spezifisch französischen, von Petit in den Nach-Weltkrieg-II-Jahren begründeten Tradition eines typisch Pariser literarischen Chique zwischen Merimée („Carmen“) und Cocteau („Le jeune homme et la mort“).

Unterschiedlich nicht zuletzt darin, dass es sich bei „Raymonda“ um die Einstudierungsarbeit handelt, Proben, Gespräche mit den Solisten und Mitgliedern des Stabs, Gegenüberstellungen der individuellen Rolleninterpretationen und Ausschnitte aus der Aufführung, während „Clavigo“ eine Live-Vorstellung aus dem Palais Garnier vom Oktober 1999 bietet (mit den Etoiles Nicolas Le Riche, Clairemarie Osta, Marie-Agnès Gillot, Yann Bridard und Yann Saiz). An „Raymonda“, ebenfalls 1999 aufgenommen, ist überwiegend die damals jüngere Generation der Etoiles beteilig (mit Florence Clerc, Fanny Gaïda, Marie-Claude Pietragalla, Elisabeth Platel, Noëlla Pontois und Claude Vulpian als Raymonda – dazu noch Yvette Chauviré sozusagen als Ahnfrau, Manuel Legris, Charles Jude, José Martinez und Nurejew selbst als Jean de Brienne nebst Jean Guizerix, Laurent Hilaire und Wilfried Romoli als Abderam). Das ist ebenso unterhaltsam wie informativ – gerade auch wegen der sehr unterschiedlichen Charaktere, die hier überaus eloquent zu Worte kommen.

Wenn Nurejew allerdings immer wieder predigt, die Choreografie Petipas sozusagen von allem Zuckerguss zu reinigen (ihr jedoch ihren Virtuositätsglanz zu belassen), so wundert es doch sehr, dass er sich als Ausstatter Nicholas Georgiadis geholt hat, der die ganze Inszenierung mit seinem goldstrotzenden Dekor geradezu erstickt. Hier wäre weniger entschieden mehr gewesen. Aber die ganze Aufführung versprüht einen nicht zu bändigenden tänzerischen Elan. Und macht doppelt gespannt, wie sich wohl die Münchner „Raymonda“-Wiederaufnahme und die unmittelbar bevorstehende Spoerli-Produktion in Zürich dagegen behaupten. Und natürlich, wie Legris, der sich hier als eleganter Talkmaster empfiehlt, seine beeindruckende Nurejew-Erfahrung als neuer Wiener Ballettchef in die Tat umsetzen wird.

Demgegenüber nimmt sich „Clavigo“ als eine bei aller angestrebten Sexiness doch reichlich „coole“ Angelegenheit aus. Von Goetheschem „Sturm und Drang“ nicht die Spur – eher eine modernistische Schnöseligkeit der ziemlich gelangweilt wirkenden Tänzer. Es ist schon so, wie Jochen Schmidt am 20. Oktober 1999 in der FAZ befand, dass Petit wohl hauptsächlich daran interessiert war, „die lange fast ununterscheidbaren Solisten und die Gruppe möglichst virtuos zum Tanzen zu bringen … Petits Eklektizismus bringt weder eine Goethe-Interpretation (oder wenigstens eine passable Nacherzählung) zustande noch ein packendes Tanzstück, sondern nur eine Schmonzette, deren bestes Teil die langen Beine von Marie-Agnès Gillot sind.“ D‘accord!

 

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