Im Staub des getrockneten Blutes

Beeindruckend und verstörend wird das Festival „Tanz im August“ eröffnet

Berlin, 15/08/2009

Drei Tänzerinnen und vier Tänzer, vier Musiker, von denen zwei auch singen und eine Sängerin, die auch tanzt. So präsentiert sich die Compagnie Salina ni Seydou mit ihrem Stück „Poussières de sang“ – „Blutstaub“ – zur Eröffnung der 21. Auflage des größten deutschen Tanzfestivals „Tanz im August“ im ausverkauften Haus der Berliner Festspiele. Das Festival will dieses Jahr in besonderer Weise den direkten und indirekten Zusammenhängen von Musik, bzw. Klang und Bewegung im modernen Tanzgeschehen nachgehen. Es soll darum gehen, auch zu hören, wie der Tanz klingt. Da ist diese Arbeit der beiden tanzenden Choreografen Salia Sanu und Seydou Boro klug an den Anfang gesetzt, verschmelzen hier doch in einer so außergewöhnlichen Stunde die Musik der Instrumente, die so virtuosen wie berührenden lautmalerischen Akzente und Klangflächen der Sängerin und der Sänger mit den vielen Facetten der Körperpoesie, die den Tänzerinnen und Tänzern eigen sind. Dabei reicht die Spannweite des Ausdrucks von Szenen sensibelster Zärtlichkeit aus Stille und Intimität bis zu den brutalen Schlägen scharfer Rhythmik, die ihren beängstigenden Höhepunkt in kollektiver geschundener Körperlichkeit findet.

Die Compagnie hat ihren Ursprung in ihrer afrikanischen Heimat Ouagadougo, der Hauptstadt von Burkina Faso, wo sie 1997 gegründet wurde. Aber in der Musik ist es zu hören, im Tanz ist es zu sehen, die Zusammenarbeit der Choreografin mit Mathilde Monnier, weitere afrikanisch-französische Gemeinschaftsproduktionen des ganzen Ensembles sind nicht ohne erkennbare Einflüsse geblieben. So präsentiert sich als beeindruckender Festivalstart eine globale Ästhetik, die für den modernen Tanz weitaus typischer und vor allem produktiver sein mag als für viele andere Kunstgattungen. Da mischen sich die Klänge traditioneller Spielweisen auf ungewöhnlichen Instrumenten mit denen des Jazz oder des französischen Songs zur Gitarre mit Formen des stimmlichen Ausdrucks, die rituell begründet scheinen und von beschwörender Wirkung sind. Dass Rhythmik und Intensität des Gesanges, der Musik, der Erzählungen so zu einer wahrhaft bewegenden Wirkung führen, gehört zu den großen Erfahrungen dieses Abends.

Im Tanz, dessen körperliche Intensität enorm ist, mischen sich ebenfalls Abläufe, die in ihren Wiederholungen bei gleichzeitiger Ausführung aller Tänzerinnen und Tänzer von ritueller Grundprägung scheinen mit solchen, die wir aus dem Repertoire des zeitgenössischen Tanzes zu kennen meinen. Ich bleibe hier zurückhaltend, denn dem Erstaunen würde die lexikalische Analyse nicht beikommen. Das hochmusikalische Tanzgeschehen vollzieht sich auf einer mit großen getrockneten Blutflächen verschmierten leeren Bühne. Links wird sie begrenzt von den Musikern, rechts im Hintergrund eine Wand aus Holz, an die in äußerst brutalen Szenen die Körper prallen oder in den Aufprall gestoßen werden. Eine Gewaltszene, eine Schießerei in ihrer Heimat gab den Anlass für diese Arbeit, die sowohl auf eine gegenständliche wie lineare Handlung im Sinne einer Geschichte verzichtet. Es ist eine Vielzahl von situativen Vorgängen, die in Ausübung von Gewalten gegen den eigenen Körper und gegen die der anderen münden. Dabei gibt es keine Trennungen, wer am Boden liegt und getreten wird kann im nächsten Moment der Peiniger oder die Peinigerin eines anderen sein. Knallende Schläge auf Holzinstrumente gellen wie Schüsse in die Szene und peitschen die exzessive Situation auf. Zarte Passagen der Musik, des Gesanges, sind von heilender Wirkung, wandeln Bewegungen zu äußerst schmiegsamer, betörend elastischer Eleganz, synchron von zwei oder mehreren Tänzern und Tänzerinnen in einer Art von wortloser Zuneigung, die allein dem Tanz eigen ist, ausgeführt. Verletzungen und brutale Abstürze, die zu totalen Veränderungen führen, sind im jähen Umbruch der Situationen von besonders schmerzender Wirkung. Dabei bleiben die Zeichen der Körper in den Situationen der Zerbrechlichkeit und des Zerfalls zugleich die der spirituellen Stärke eines solchen Tanzes im Staub des getrockneten Blutes.

www.tanzimaugust.de

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