Vertrag verlängert
Ricardo Carmona bleibt künstlerischer Leiter von Tanz im August
nora chipaumires „Dambudzo“ und Adam Linders & Ethan Brauns „Tournament“ bei Tanz im August
Hunde sind das verbindende Element der Arbeiten von Adam Lindner und nora chipaumire. Dazu kommt eine treibende Live-Musik, wobei die Streicher des Solistenensemble Kaleidoskop in einer Komposition von Ethan Braun und das Zusammenspiel von Kalimba, Saxophon und Trommeln bei nora chipaumire dann doch ganz eigene musikalische Felder eröffnen. Zusammen mit den Hunden.
Der Mensch als des Menschen Hund
Es ist bereits das dritte Mal, das nora chipaumire bei Tanz im August zu Gast ist, und dieses Mal besetzt sie mit der deutschen Erstaufführung von „Dambudzo“ die Position des immersiven Tanzerlebnisses, bei dem das Publikum in der Alten Münze durch den Raum wandelt. Sie gilt als enfant terrible und Vertreterin der postkolonialen Bewegung, doch in ihrer aktuellen Arbeit wird sie diesen nicht unbedingt intelligenten Labels nicht gerecht. Denn sie macht einfach ihr Ding und hat dazu acht Performer*innen um sich geschart, die zwei Stunden lang in direktem Kontakt mit dem Publikum tanzen, schwitzen, musizieren, krakelen und ordentlich Party machen. Doch unbeschwert ist anders. Immer wieder dringen kläffende, fletschende Hunde durch den ganz entspannten Soundtrack der Bhundu Boys, und die Szenen wechseln von Alltagsfröhlichkeit zu Gewaltausbrüchen. Der Mensch ist des Menschen Hund. Der Stücktitel „Dambudzo“ lautet denn auch übersetzt so etwas wie Ärger.
Alles beginnt mit zwei universalen Freuden der Menschheit. Erst wird ausgiebig in einer Art Jam Session getanzt, mit viel Hüftkreisen zu den kleinteiligen Beats. Dann beginnt in der Nebenhalle ein Fußballspiel, das auch das Publikum involviert, bis schließlich eine missionierende Predigerin alle wieder in die Haupthalle führt, die mit großen Holz-Leinwandelementen in gelb, blau, rot geschmückt ist und die heruntergelassen werden können (Bühne: Irene Pätzung). So weit so schön (und laut). Doch nun bellen die Hunde. Einige Tänzer werfen Wachsklumpen an eine Wand, die visuelle Analogie zu fliegenden Steinen gegen Polizei und Panzer drängt sich auf. Am Ende dieser Szene wird ein Mann verprügelt, bleibt (nach einer Pietà-Pose mit seinem Peiniger) zitternd auf dem Boden liegen, während sich die Krawallmacher dem immer noch rotierenden Kirchenzug anschließen (genau wie das vermutlich weitgehend atheistische Berliner Publikum).
Gewalt und Alltag
Hier durchdringen sich Alltag und Gewalt. Da geht es vom traditionellen Stabtanz direkt zu Posen von Militärs oder Milizen mit Maschinengewehr und Panzerfaust. Auf das Hundebellen folgen immer wieder ausgiebige Szenen zur Feier des Lebens im Tanz und die Energie der Tänzer*innen, die bald schweißgebadet ihre Hüften und Arme durch den Raum wirbeln und ihre Körper zum Beben bringen. Zunächst ganz in schwarz gekleidet und nur von mobilen Scheinwerfern beleuchtet, kommen später bunte Oberteile hinzu, das Licht von zwei großen Discokugeln und wärmere Beleuchtung. Es endet in einem großen musikalischen Wohlfühlkreis, über dem ein großer Hund von der Decke hängt, und zu Saxophon und Kalimba wird gemeinsam musiziert.
Ist das ein postkoloniales Statement oder schlicht eine künstlerische Bearbeitung der simbambwischen Lebenswirklichkeit, die ja auch andere Länder in Afrika und überhaupt im globalen Süden kennzeichnet? Es scheint, dass gern genutzte Label hier zu kurz greifen, angesichts der komplexen Realität. Allerdings verharrt auch der Abend an der Oberfläche dieser Realitäten, eine Tiefenbohrung findet nicht statt. Statt dessen geht es mit viel positiver Energie nach vorne, die Grenze zum wohlgefälligen Kitsch durchaus hier und da überschreitend. Das letzte Wort allerdings haben die Hunde – als Schattenspiel.
Echos und verzerrte Erinnerungen
Hunde bellen auch hier und da in „Tournament“, einem Abend des Choreografen Adam Linder, der bereits zum vierten Mal beim Festival dabei ist und sich dieses Mal im Radialsystem mit dem Komponisten Ethan Braun zusammengetan hat. Ana Filipović hat dafür eine weiße, sechsstufige Pyramide auf die Bühne gestellt, die vor allem dem fünfköpfigen Streicherensemble Kaleidoskop in grauen Kapuzenpullis als Spielfläche dient. Braun setzt primär auf die Streicher, für die er das Stück komponiert, lässt aber aus dem Off immer auch zusätzliche Sounds und Musiken einspielen.
Linder und Braun wollen hier das Zusammenspiel klassischer Formen untersuchen, wobei diese nicht in ihrer althergebrachten Reinheit präsentiert werden, sondern eher als Echos und verzerrte Erinnerungen. So setzt die Streichermusik auf schnelle kurze Sequenzen, die dann aber in hoher Frequenz wiederholt werden und so ihren ganz eigenen, sehr unklassischen Beat produzieren.
Ballett trifft Boxkampf
Auf der Bühne beginnt alles mit der Arbeit eines Gärtners oder Facility Managers, der Blumensträuße ordnet und verteilt, Klebestreifen abreißt, aber mitunter auch die vier Tänzer*innen unterstützt. Der Tanz zitiert ausgiebig das Repertoire des Balletts mit seinen Sprüngen und Drehungen, allerdings eher als ein Schatten dieser Formen, die mit zeitgenössischen Bewegungen angereichert werden oder auch ganz anderem, wenn auf einmal zwei Tänzer*innen zu einem Boxkampf aufbrechen. Zudem verändert sich die Zeitlichkeit, wenn einzelne Szenen in Zeitlupe aufgelöst werden.
Mit Fächer und einem Tänzer wird eine Stierkampfszene angedeutet, die sich aber nicht einlöst. Eine tänzerische Skulptur, die sich aus den Bewegungen gebaut hat, ergeht sich in stummen Schreien. Immer wieder gelingen pointierte Bilder, zumal die Musik die einzelnen Parts auch klar strukturiert. Im Laufe der einstündigen Performance geraten auch die Musiker*innen und Tänzer*innen immer wieder aneinander. Da werden frech die Bögen geklaut und zum Fechten benutzt, zum Paartanz aufgefordert, und in einer großen Prozession wird ein Cello zu Grabe getragen (und dabei noch gespielt).
Am Ende stehen dann alle in bunten Batikkostümen auf der Bühne und stürmen die Pyramide. Der meist im Hintergrund wirkende Organisator sitzt zufrieden mit seinem Metallfächer auf der zweiten Stufe. Die Schatten der klassischen Musik und des klassischen Balletts haben sich zu etwas Neuem geformt, das alte Monument gestürmt und besetzt. Ein neues Bild für eine gar nicht so neue Erkenntnis.
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