Freitag hat frei

Helmut Otts Premiere im Münchner Schwere Reiter

München, 13/09/2009

Eine Gestalt lehnt an der Wand. Sie verschmilzt fast ganz mit der weißen Farbe und mit wechselnden Projektionen von Höhlenmalereien, Kuhlen, Flüssen, abstrakten Mustern. Hier hat jemand sein Ich verloren, scheint es, und gibt sich der nackten Natur hin, die er mit Fantasiegebilden bevölkert. Helmut Ott ist mit dieser Inszenierung von Robinsons Grundsituation auf der einsamen Insel eine starke Eröffnungssequenz für sein Stück „Freitag hat frei“ gelungen. Sie bleibt vom Rest unerreicht.

Der Choreograf hat sich zu seinem neuen Wurf von Michel Tourniers Roman „Freitag oder im Schoß des Pazifik“(1987) inspirieren lassen, einer philosophischen Variante der Robinsongeschichte von 1719. Statt des Abenteueraspekts steht hier die Psyche des gestrandeten Menschen im Vordergrund. Was, wenn ein Mann plötzlich ohne sicheres System dasteht, ohne soziale Erlebnisse, ohne Input von Außen und ohne deren Verarbeitung im Innern? Auf der Bühne des Schwere Reiter an der Dachauer Straße fällt er zunächst in blinden Aktionismus. Einen Hut hat sich Ott als Requisit mitgebracht, ein Fischernetz und, hoch plakativ, eine Reihe neonfarbener Schwimmreifen. Sie bilden eine Art sicheres Regelwerk, an dem sich der Gestrandete festhält und bis zum Exzess verausgabt. Immer wieder arrangiert er es neu, überprüft es, bringt es aus allen Richtungen zu sich in Bezug. Speziell mit den bunten Reifen ist das unter verschiedenen Beleuchtungen (Licht: Markus Schlagenhaufer) eine hübsche Sache fürs Auge. Die aber, zu lange ausgedehnt, leider als Effekthascherei endet.

Dabei hat Ott die nicht nötig. Denn seine Soli, ohne Requisiten und multimediafrei, sind ergreifend. Wie er mit seinem massigen Körper langsam und präzise die Enden seiner Glieder erkundet, feststellt, wo sein Selbst aufhört und die Natur anfängt – das vermittelt ein eingängiges Bild von Einsamkeit. Auch später, wenn der Kampf gegen die Leere auf dem Plan steht, genügt sein Körper. Der Gestrandete kämpft wie ein Irrer mit sportlichen Posen, gibt diese dann aber, sich auf dem Boden windend, auf, um letztlich statt der Umwelt endlich sein Ich zu erkunden: das Gesicht, die Sinnesorgane, ja sogar die Sprache, die er vom Mund als Gebärden in den Körper verlegt. Hinter solchen Ansichten werden die Videoprojektionen eines Freitag, der sich unter Obstbotschaften („Samstag“) tatenlos in sein Schicksal fügt, fast unsichtbar.

Es kommt natürlich wie es kommen muss, die Gedankenkonstrukte gewinnen. Ott mummelt sich zuletzt in seine Reifen hinein, denen er eine Kaktushülle übergezogen hat. Er wird verhölzern. Ohne Freitag überlebt Robinson nicht – eine andere Konsequenz gibt es nicht.

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