Eine Zäsur, die es in sich hat

Neuanfang des Balletts der Deutschen Oper am Rhein unter Martin Schläpfer

oe
Düsseldorf, 16/10/2009

Wie sich die Bilder gleichen!! Mitte der sechziger Jahre kam Erich Walter, im vor-Bauschschen Wuppertal als Ballettchef zu jungem Ruhm gelangt, an die Deutsche Oper am Rhein und katapultierte die bis dahin vor sich mümmelnde Düsseldorf/Duisburger Kompanie zu einer der führenden deutschen Ballett-Adressen. Absolute Priorität hatte die Musik, von Monteverdi bis zu Schönberg, seine eigenen Choreografien auf klassisch-akademischer, für die Moderne weit geöffneter Basis, waren immer musikgezeugt. Die Sahnehäppchen fürs Repertoire lieferten Gastchoreografen à la Balanchine, Massine, Nijinska und van Manen, der hier seine erste Choreografie für eine nicht-holländische Kompanie schuf: „Keep Going“ zur Sinfonie von Luciano Berio.

Als Walter allzu früh 1983 starb, driftete die Kompanie trotz ausladender Abendfüller ins Mittelmaß ab. Jetzt nun, ein Dritteljahrhundert später, unter der Leitung von Martin Schläpfer, wagt die Rheinmetropole einen Ballett-Neuanfang. In Mainz zu jungem Ruhm gelangt, ein Mann der absoluten musikalischen Integrität, klassisch-akademisch grundiert mit moderner Perspektive, hat Schläpfer für seine erste Düsseldorfer Ballettpremiere (wie schon des Öfteren in Mainz) Hans van Manen eingeladen, mit seinen „Frank Bridge Variationen“ zur Musik von Benjamin Britten, einem seiner Klassiker für fünf Paare, kostümiert von Keso Dekker – das Modell eines zeitgenössischen Klassikers, formgeprägt, erzmusikalisch und klar strukturiert, mit den Markenzeichen seines Stils, von Rachel Beaujean mit holländischer Präzision einstudiert und von den Düsseldorfer mit funkensprühender Elektrizität aufgeladen, über die Bühne des Opernhauses gewirbelt, von den Düsseldorfer Symphonikern unter der Leitung von Christoph Altstaedt sozusagen mit altenglischem Streicherpathos zu einer edwardianischen Idylle (à la Elgar) klanggezeugt.

Umrahmt wurde van Manen als Mittelstück des Programms von Schläpfers aus Mainz übernommenem „Marsch, Walzer, Polka“ zu einer Huldigung an die Wiener Strauß-Dynastie als Gusto-Pasticcio, zu dem man, je nach Geschmack, Horváth oder Herzmanowsky-Orlando assoziieren konnte, mit einem Radetzky-Solo für Jörg Weinöhl, der hier wie ein Überlebender aus k.u.k.-Tagen wie ein pensionierter habsburgischer Oberst aus dem Altenheim der Donaumonarchie wirkt. Neu war dann das Finale: die Uraufführung von Witold Lutosławskis 3. Sinfonie, und die weckt ganz andere Erinnerungen, an Yvonne Georgi, die als eine der ersten Ballettchefinnen der Düsseldorfer Oper nach dem II. Weltkrieg wirkte, und später in Hannover 1971 Lutosławskis seinerzeit viel gespielte „Jeux venétiennes“ als Uraufführung choreografierte.

Georgi war eng mit Erich Walter befreundet, und so erweitert sich der Brückenschlag des neuen Düsseldorfer Ballettabend über den lokalen Bezug hinaus zu einer Entente cordiale aus Düsseldorf, Wuppertal, Hannover, Amsterdam, Polen, Chicago, wo die Lutosławski-Sinfonie unter Solti ihre konzertante Uraufführung erlebte. Ein Abend, der alle historischen Dimensionen sprengte! Nicht zuletzt musikalischer Art, der für ein paar Düsseldorfer Ballettfans offenbar eine Herausforderung bedeutete, die die Kreation unüberhörbar bebuhten – wie seinerzeit den „Sacre“ von 1913. Und die die Choreografie Schläpfers, die aus gleich zwei stummen Prologen der Stille erwächst, offenbar ebenso anti-balletistisch empfanden wie das Publikum von 1913 das Ballett von Strawinsky und Nijinsky.

Schläpfer hat sich hier auf einen stilistischen Mix eingelassen, der auf Spitze wie auch in Schläppchen, mosaikhaft zerfranst und Blitzlichtepisoden präsentiert, über denen zwei Käfige mit Tänzern schweben (Bühnenbild Thomas Ziegler, auch Kostümdesigner des Strauß-Balletts – die ebenso hässlichen Zottelkostüme für Lutosławski, die die Tänzer in durchlöcherten Schwimmwesten verunstalten, stammen von Catherine Voeffray). Schwer zu sagen, was das alles zu bedeuten hat. Tänzerisch interessant, ja faszinierend ist es allemal, und die Düsseldorf-Duisburger Tänzer stürzen sich in diese sie ans Äußerste ihrer technischen Möglichkeiten fordernde Choreografie mit ihren überraschenden Brüchen und Zeitlupen-Motionen (wie auch schon in der Straußschen Walzer-Apokalypse mit ihren Dunkel-Episoden) mit einer Entschlossenheit, die ihre Begeisterung für den neuen, anspruchsvollen Qualitätssprung dokumentiert. Dem sich auch das Düsseldorfer Premierenpublikum nicht versagen mochte, das Schläpfer und seine Kompanie, der hartnäckigen Opposition zum Trotz, begeistert feierte.

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern