Würdige Abschiede

Ein Buch und eine digitale Ausstellung zum Wechsel von Martin Schläpfer nach Wien

Zwischen Juli 2019 und April 2020 lockte die Kulturjournalistin Bettina Trouwborst in ausführlichen Gesprächen nicht nur das Leben, sondern auch die künstlerische Philosophie des als zurückhaltend geltenden Schweizers hervor.

Düsseldorf / Duisburg, 13/07/2020

Nicht nur in Düsseldorf und Duisburg, sondern in der gesamten einheimischen Ballettszene kann man derzeit mit Rainer Maria Rilke fühlen, „was Abschied heißt… ein grausames Etwas, das ein Schönverbundnes noch einmal zeigt und hinhält und zerreißt.“ Noch einmal gezeigt, hingehalten, ausgekostet und am Ende zerrissen wird die Beziehung von Martin Schläpfer zur Deutschen Oper am Rhein, wo er seit elf Jahren Ballettchef war – nachdem er zuvor in zehn Jahren das vielzitierte Mainzer Ballettwunder geschaffen hatte.

Im September wird er seine neue Tätigkeit als Direktor und Chefchoreograf des Wiener Staatsballettes und Leiter der Wiener Ballettakademie antreten. Zum bevorstehenden Abschied hatte das Stuttgarter Ballett den Erfolgschoreografen schnell noch für eine Uraufführung gewinnen können; dem geplanten Abschiedes-Countdown an Aufführungen und Rahmenveranstaltungen machte Corona einen dicken Strich durch die Rechnung.

Eines aber hat pünktlich geklappt, nämlich die Veröffentlichung eines Buches der Kulturjournalistin Bettina Trouwborst, die zwischen Juli 2019 und April 2020 in ausführlichen Gesprächen nicht nur das Leben, sondern auch die künstlerische Philosophie des Schweizers hervorlockte. Martin Schläpfer gilt als zurückhaltende Persönlichkeit – einerseits stellte er sich, unter anderem im Film, bereitwillig dem Interesse an seiner künstlerischen Arbeit, behielt aber sein Privatleben unter sicherem Verschluss.

Die Journalistin hat es geschafft, sich auch der Person Martin Schläpfer etwas mehr zu nähern. Vielleicht ist es die sichere Position, aus der heraus der Tanzkünstler sich einen tiefergehenden Rückblick leisten konnte: Der Sechzigjährige hat eine untadelige Erfolgsgeschichte als Ballettdirektor und Choreograf aufzuweisen, konnte unter Anfragen renommierter Ballett-Institutionen auswählen und hat für die Zeit danach – wann immer sie beginnen sollte - einen sicheren Plan B. Dafür hat sich Martin Schläpfer einen Sehnsuchtsort im Tessin verwirklicht: einen ehemaligen Stall, der zum Alterswohnsitz umgebaut wird. Das Landleben liebt der Schweizer seit seiner Kindheit in Altstätten im schweizerischen Rheintal, in einer Krise seines Lebens hat er sich zum Biobauern ausbilden lassen. Halbe Sachen macht er offensichtlich nie.

Vom angehenden Eiskunstlauf-Athlet wechselte er fünfzehnjährig ins Ballettfach und bewies rasch außergewöhnliches Talent, aber auch höchste künstlerische Ansprüche – vor allem an sich selbst. Trotz einer sich abzeichnenden Weltkarriere, insbesondere in Reibung mit Heinz Spoerli am Baseler Ballett, hörte er in einer tiefen Identitätskrise zu tanzen auf. Er leitete eine Ballettschule, begann in Bern wieder zu tanzen, wo ihm 1994 schließlich die Leitung des Ballettes angeboten wurde. Hier begann seine außergewöhnliche Karriere als Choreograf, die mit dem Wechsel nach Mainz (1999) einen bis heute anhaltenden Tanz-Boom in der Domstadt auslöste und ab 2009 dem Ballett der Deutschen Oper am Rhein Schritt für Schritt einen Spitzenplatz im internationalen Ranking der Ballettkompanien eroberte.

Das Buch von Bettina Trouwborst gliedert sich in neun Gespräche, in denen die Tanzkritikerin ihn zu unterschiedlichen Themen befragt: zu Biografie und künstlerischer Erfolgsgeschichte, zu Tanzen, Choreografieren und künstlerischem Handwerk, zu Öffentlichkeit und Privatheit, zu Politik und tagesaktuellen Themen, zu seinem Verständnis von Kunst und Künstlertum. Der Schweizer erweist sich dabei als angenehmer Gesprächspartner, der gerne und ausgiebig antwortet, mit ebenso reflektierten wie pointierten Ansichten und unerwarteten persönlichen Einsichten.

Das Bild, das Martin Schläpfer von sich selbst zeichnet, ist das einer kompromisslosen Künstlerpersönlichkeit. Diesem inneren Auftrag hat er alles andere in seinem Leben untergeordnet; am Ende steht der Verzicht auf alle persönlichen Zerstreuungen und die Einsicht, dass Künstlertum und eine enge persönliche Beziehung für ihn unauflösbare Gegensätze darstellen. Aber er hat seinen Frieden gemacht mit persönlichen schmerzlichen Erfahrungen. Was ihn umtreibt, ist sein innerer Anspruch an seine Choreografien, in denen er die Mittel des akademischen Tanzes unermüdlich zu neuer Perfektion treibt, in einem außergewöhnlich intensiven Dialog mit der Musik. Dabei verfolgt er einen zutiefst humanistischen Ansatz: „Ich glaube, dass wir irgendwann wieder zum Wesentlichen zurückkommen müssen, zu einer Ehrlichkeit, zu einer Ethik“.

Die Kapitel sind durch farbig bedruckte Einhänge in kleinerem Programmheftformat gegliedert, die das umfangreiche Schaffen Schläpfers fotografisch dokumentieren – nicht immer eine glückliche Wahl, um die Bilder zur Geltung kommen zu lassen.

Da erweist sich ein anderes Abschiedsprojekt als ideale Ergänzung zum Buch: eine Ausstellung, die Tanzfotografien von Gerd Weigelt mit Gedanken von Martin Schläpfer zu seinen Choreografien verbindet. Dank Corona musste das Projekt ins Internet verschoben werden - schade um das geplante Event, aber eine Chance für alle Schläpfer-Fans, die sich die Bilder bequem ins heimische Wohnzimmer holen können. Die vom Deutschen Tanzarchiv Köln gemeinsam mit der Deutschen Oper am Rhein ermöglichte und von Thomas Thorausch und Anne do Paço (Martin Schläpfers langjähriger Dramaturgin) kuratierte digitale Schau umfasst 26 Fotos mit Zitaten von Martin Schläpfer, in denen die Bandbreite seiner choreografischen Arbeiten opulent gezeigt und durch die ausgewählten Zitate vom Künstler selbst speziell beleuchtet werden: eine faszinierende (Wieder-)begegnung.

Bettina Trouwborst: Martin Schläpfer. Mein Tanz, mein Leben, 160 Seiten geb., Henschel Verlag, Leipzig 2020, 30.- €

 

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