Mittelpunkt der „Gang of Four“

Zum Tod des London-New Yorker Kollegen Clive Barnes

Stuttgart, 20/11/2008

Er war die Nummer Eins unserer Profession: Clive Barnes, der in der Nacht zum 19. November einundachtzigjährig in New York an Leberkrebs gestorben ist. Er war es schon damals, als wir uns zuerst persönlich begegnet sind – das war im Mozartjahr 1956 bei meinem ersten Besuch in London – zu dem Zeitpunkt noch keine dreißig Jahre alt, beide Jahrgang 1927 – wie auch unsere gemeinsamen Kollegen John Percival und Noel Goodwin („The Gang of Four“, wie wir uns nach Maos berühmter Gang nannten). Immerhin hatte er ein paar prominente englische und amerikanische Kollegen: in London Richard Buckle, Arnold Haskell, A.V.Coton, Peter Williams, Arthur Franks, Mary Clarke, G.B.L. Wilson und Alexander Bland (das Ehepaar Maude Lloyd und Nigel Gosling) – und in Amerika John Martin, Walter Terry, Ann Barzel, A. Chujoy, P.W. Manchester und natürlich den von und allen Verehrten Edwin Denby.

Erst später ging uns auf, dass der Jahrgang ja auch ein paar der berühmtesten Choreografen hervorgebracht hatte. Maurice Béjart, Juri Grigorowitsch, John Cranko, Pavel Smok und Erich Walter (da mussten wir uns dann mit der Rolle von kritischen Trittbrettfahrern begnügen). Jedenfalls fühlte ich mich sofort in London heimisch und aufgenommen in den Kreis um „Clive“ (und besonders als ich dann auch bald für „Dance and Dancers“ zu schreiben begann).

Wo sind wir uns in den folgenden Jahren dann überall begegnet, immer wieder in London natürlich, in Paris, in Stuttgart (er war es schließlich, der beim ersten Gastspiel der Cranko-Kompanie in Amerika das Wort „Stuttgart Ballet Miracle“ prägte), in Berlin, in Kopenhagen und Stockholm (wo er an meiner Seite einschlief, sich in den Pausen von mir berichten ließ und hinterher eine glänzende Kritik schrieb), bei den Ballett-Festivals (unvergesslich eine Einladung von Gerhard Brunner zu einem verwandten Weinbauern zum Lunch im Burgenland, ein ganzer Autokorso – mit von der Partie Clive, John Percival, Sven Kragh-Jacobsen, Erik Aschengreen, Jochen Schmidt, Klaus Geitel, George Jackson, „Boris“ Oberzaucher, Marcel Luipart etc.).

Und dann natürlich immer wieder in New York, auch bei der letzten Saison des New York City Ballet im City Center und bei der Eröffnungs-Season im New York State Theatre – und bei den Parties hinterher (ja, so schrieben wir die damals noch, vor ihrer Eindeutschung als Partys) – sowie beim Strawinsky-Festival von 1982. Unser weitestes Zusammentreffen hatten wir Ende der siebziger Jahre in Venezuela, als Zandra Rodriguez den Ehrgeiz hatte, ein Ballet International de Caracas zu gründen.

Unmöglich, alle die Persönlichkeiten zu benennen, die ich in seiner Umgebung kennengelernt habe – und fast immer gehörte seine erste Frau Patricia dazu (Trish), die auch die Verbindungsperson zu den sowjetischen Dissidenten war und die mir einen genauen Lageplan der Wohnung von dem unter Hausarrest stehenden Valeri Panov in Leningrad mitgab: U-Bahn-Station, Straße, Hinterhof, linker Seiteneingang, dritter Stock Wohnung Nummer soundso: Hämmern Sie gegen die namenlose Tür, Sie hören dann ein russisches Geschrei – rufen Sie ganz laut: Stuttgart, und John Cranko - erst dann wird ihnen geöffnet.

Ach, so viele Erinnerungen kommen da hoch, an Francis Francis den Ballettfan, der den ganzen Modeaustausch zwischen Paris und New York in der Hand hatte und noch immer als inoffizieller Delegierter des New York City Ballet durch die Welt reist, an den Schauspieler Al Pacino, dem wir auf einer Party bei Alfonso Cata begegnet sind, Truman Capote und Montgomery Clift … Ja, ja, das waren noch Zeiten! Und wenn es Komplikationen mit Pressekarten in New York gab - zum Beispiel für die ersten Vorstellungen von „Hello, Dolly“ oder „Chorus Line“ – ein Anruf bei ihm, und der Termin war gebucht. Zu den meisten deutschen Kollegen (nicht zu allen) habe ich ja durchaus freundschaftliche Kontakte, aber so warmherzige wie zu Clive (und John Percival und seiner Frau Judith Cruickshank in London) sind doch sehr wenige darunter. Schade, dass das nun vorbei ist; und dass „unsere“ Gang nun nur noch aus drei besteht!

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