Die Essenz des Dandy

Tanz im August: Marc Rees holt den „dancing marquis” zurück auf die Bühne

Berlin, 27/08/2008

20 Jahre „Tanz im August” sind Zeit genug, um einen ausgiebigen Blick zurück in die Vergangenheit des Tanzes zu werfen. Dies tut in diesem Jahr auch Marc Rees – was zunächst verwundert. Schließlich hat sich der offensiv schwule Performer und Installationskünstler bislang hauptsächlich mit seiner eigenen Vergangenheit im ländlichen Wales beschäftigt. Doch nun hat Rees in seinem Stück „Gloria Days” einen exzentrischen Paradiesvogel aus seiner Heimat tänzerisch wiederbelebt. Frank Weigand sprach mit dem Künstler über die Produktion und deren Vorbild Henry Cyril Paget of Anglesey, den „dancing marquis”.

In „Gloria Days” beschäftigen Sie sich zum ersten Mal mit einer historischen Figur. Was hat Sie dazu bewogen?

Marc Rees: In meiner Arbeit geht es immer um sexuelle und kulturelle Identität. Ein Großteil davon ist autobiographisch und bezieht sich auf die Gegend, wo ich aufgewachsen bin. Aber plötzlich bekam ich einen Artikel der Theaterhistorikerin Vivien Gardner über diesen Marquis in die Hände, der um 1890 als absoluter Nonkonformist in Nord-Wales lebte. Für seine Liebe zum Tanz und zu exzentrischen Kostümen verschleuderte er sein gesamtes Vermögen. Er baute die Familienkapelle zu einem Theater um, lud die Bauern aus den umliegenden Dörfern ein und stand selbst auf der Bühne. Am Ende starb er ziemlich verarmt in Monte Carlo. Ich wollte unbedingt diese Figur würdigen, von der in Wales kein Mensch mehr wusste. Ich glaube, es steckt sehr viel von mir selbst darin.

Also ist es doch irgendwie eine autobiographische Arbeit?

Marc Rees: Natürlich fühlte ich mich der Gestalt des Marquis sehr nah, weil er ein Außenseiter war und diese Einstellung von „scheißegal, ich mach’s trotzdem” hatte. Auch ich komme aus einem kleinen Dorf in Wales, bin vielleicht auch ein bisschen exzentrisch und will auffallen, Kunst machen und das alles... Und obwohl es keinen Beweis dafür gibt, dass der Marquis homosexuell war, wollte ich auf die Möglichkeit hinweisen... Aber es wurde sehr schnell klar, dass es weder eine autobiografische noch überhaupt eine biografische Arbeit werden sollte.

Mit was für einer Ästhetik würdigt man denn einen Exzentriker des „fin de siècle’” am Besten?

Marc Rees: Es ist kein narratives Stück. Ich wollte nicht die Geschichte dieses Dandy erzählen, sondern seine „Essenz” zeigen. Ursprünglich wollte ich eine Installation daraus machen, aber dann verlangte das Thema nach etwas Theatralischem. Trotz der opulenten Kostüme von John MacFarlane, der sonst für die Oper arbeitet, wirkt „Gloria Days” in seiner Gesamtheit sehr minimalistisch, auch was die Bewegung angeht. Fast orientalisch, wie japanisches Nô-Theater. Ich mag diese Nüchternheit. Es wäre zu einfach gewesen, das übertrieben ‚camp’ zu machen.

Wie haben Sie das Bewegungsmaterial erarbeitet?

Marc Rees: In einem Community project mit Leuten aus der Gegend, wo der Marquis lebte. Es waren zwölf Teilnehmer, zwischen 7 und 75 Jahren. Wir forschten zusammen nach, wer der Marquis war und versuchten nachzuempfinden, wie er sich in seinen Kostümen bewegte. Der Großteil des Bewegungsvokabulars stammt tatsächlich aus diesem Workshop. Für mich war das sehr spannend, von dort auszugehen und dann in Cardiff und später in Berlin an dem Material weiterzuarbeiten.

Das Stück entstand in Zusammenarbeit mit dem Berliner Tänzerduo Rubato und der Theaterhistorikerin Vivien Gardner. Wie ging das vor sich?

Marc Rees: Vivian hatte all diese Bilder und Dokumente über den Marquis. Er war besessen davon, sich in ziemlich neckischen Posen photographieren zu lassen. Viel von unserem Material haben wir aus diesen Posen entwickelt. Rubato waren mein „äußeres Auge”. Meine Arbeit entsteht immer im Austausch mit anderen Künstlern. Ich arbeite gerne mit Leuten, die mir Feedback geben können und mir neue Ausdrucksmöglichkeiten zeigen. Mit Rubato hatte ich davor schon zweimal gearbeitet, und das war eine tolle Gelegenheit sie nach Wales einzuladen und ihnen dadurch etwas zurückzugeben. Und außerdem hatten sie diesen tollen Glasboden, den ich mir für das Stück ausleihen wollte (lacht)...
(Ursprünglich erschienen in der Ausgabe 08/09/08 des Magazins TanzRaumBerlin) Marc Rees „Gloria Days”, heute und morgen um 22 Uhr, im HAU3, Tempelhofer Ufer 10, Berlin-Kreuzberg www.tanzimaugust.de

 

Kommentare

Noch keine Beiträge