Revolverhelden auf Spitze

VA Wölfls neues Stück für die Gruppe Neuer Tanz in Düsseldorf-Benrath

Düsseldorf-Benrath, 04/10/2008

Das, immerhin, hat es in der Tanzgeschichte noch nie gegeben: dass ein ganzes, neunköpfiges Ensemble, drei Frauen, sechs Männer, abendfüllend und ohne Unterlass mit Pistolen herumfuchtelt. Ein Mann hält seine Waffe einem anderen an die Schläfe, während der so tut, als sänge er mit hohem Kontratenor wundersam Melodisches aus der Renaissance. Nacheinander bemühen sich zwei Männer und eine Frau ums Anzünden eines Bunsenbrenners, ehe sie mit identischen Waffen, die allerdings nicht recht knallen wollen, stotternde Revolvermann-Posen durchspielen. Die gesamte Truppe schießt sich pantomimisch in den Fuß, ins Bein und auch in den Kopf, und selbst, als sie sich schließlich zu einer langen Sequenz in einheitlich schwarze Tüllröcke zwängen, die drei Frauen die Spitzenschuhe des Balletts anlegen und alle zusammen Formationen bilden, die ihr Herr und Meister VA Wölfl wohl für klassisch hält, legen sie die Pistolen nicht aus der Hand; bei jeder Attitüde markieren die Waffen die höchsten Punkte einer Pose.

Auf der Einladung zur Premiere schien das neue Stück von Wölfl für seine Truppe Neuer Tanz noch den Titel „Geister, Tote, Wiedergänger“ zu tragen, vielleicht auch „Vorfreude auf das Benrather Testament“ (wobei man wissen muss, dass Neuer Tanz in der Orangerie des Schlosses Benrath bei Düsseldorf zuhause ist). Das fertige Stück hat anscheinend gar keinen Titel mehr, bezeichnet sich aber, wohl wegen der paar Minuten, bei denen sich seine Tänzerinnen auf die Spitze stellen, als „ein Ballettabend“. Auch zeichnet es sich selbst in ironischer Absicht mit dem Prädikat „besonders konservativ“ aus, nennt sich allerdings auch, mit kaum mehr Berechtigung, „Der erste Tanz zur gewaltsamen Bewegung“. Denn so gewaltsam geht es in der Benrather Orangerie gar nicht zu; auch das Herumfuchteln mit den Pistolen wirkt auf die Dauer nur noch albern.

Vor allem aber wirkt das alles noch sehr unfertig: als seien da beliebige Einfälle ohne szenische Logik aneinander geklatscht worden. Gelegentlich steigt einer eine hohe Leiter empor und klimpert auf einer unter die Decke geklebten Klaviertastatur. Ab und an donnert und blitzt es, Orgeltöne schwingen sich zu gehörschädigender Lautstärke auf, und eine der Damen, zuweilen auch alle drei gleichzeitig, quiekt mit einer Lautstärke, dass Gott erbarm. Immer wieder aber schreitet ein einzelner Mann, mit einer Hand hektisch die Luft zerteilend, vor den Zuschauern auf und ab und teilt ihnen in englischer Sprache mit, eine Waffe in der Hand eines bösen Menschen sei schlimm, in der Hand eines guten aber nur für böse Menschen gefährlich. Er behauptet auch, Kunst sei „business“ und „business“ Kunst, und dem Publikum sei es nicht zuzumuten, dass es schlechte Kunst und schlechten Tanz ansehen müsse. Er sagt aber auch, dass er als Künstler nicht recht wisse, wie er von hier aus weiterkommen solle – und das sei „unbelievable“. Das aber: dass der Künstler Wölfl nicht nur nicht recht weiß, wie er weiterkommen solle, sondern dass er auch nicht recht gewusst hat, was und wohin er eigentlich wollte, ist das eigentliche Problem dieses nur 70 Minuten langen „Ballettabends“, der auch nicht besser und vor allem nicht logischer würde, wenn er jenen Titel trüge, den Wölfl als Alternative anbietet: „Ich sah: Das Lamm stand auf dem Berg Zion“. Man glaubt zu wissen, wie es sich dort fühlt: wie der Ochs nicht auf dem, sondern vorm Berge.

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