„Ich war kein einfacher Student, voller schräger Ideen“

Marco Goecke im Interview

München, 13/02/2008

2001/02 entstanden zwei Arbeiten für die als Choreografen-Sprungbrett bekannte Stuttgarter Noverre- Gesellschaft - und die Tanzwelt merkte auf. Wer war dieser Marco Goecke? Man sollte es bald erfahren, denn dem gebürtigen Wuppertaler, 2005 zum Hauschoreografen des Stuttgarter Balletts ernannt, flogen bald Preise und Einladungen bis nach New York und zum berühmten US-Jacob's-Pillow-Festival zu. Jetzt hat er auch für Henning Paars Münchner Tanztheater ein Stück einstudiert. Sein „Sweet Sweet Sweet“ (2005) hat zusammen mit William Forsythes „Trio“ und Stephan Thoss' „Visions fugitives“ unter dem Motto „Körpersprachen“ morgen Premiere (Gärtnerplatztheater, 19 Uhr 30).

In Paars Aidsgala letzten Dezember hinterließ Marco Goecke mit dem körperexzentrischen Solo „Äffi“ hierorts schon einen starken Eindruck. Dieser Stil, der den Tänzer oder - wie in seinem Stuttgarter „Nussknacker“ - auch ein ganzes Ensemble in einen merkwürdigen fiebrigen Zustand, in ein unentwegtes fremdartig nervöses Flattern versetzt, war anders, als was bisher im zeitgenössischen Tanz zu sehen war. Wie er auf dieses „neue“ Stilelement gekommen sei?

Goecke völlig offen: „Das ist aus meiner eigenen Energie entstanden, sicher auch aus einem Nichtwissen, ja schon aus einer Naivität. Die Ohnmacht gegenüber arrivierten und den ganz großen Tanzschöpfern wie Pina Bausch, Forsythe und Kylián habe ich gar nicht so intensiv erlebt. Ich hatte ja nur ein Jahr an der Deutschen Staatsoper Berlin getanzt und vier Jahre in Hagen ... aber dort schon ein ungeheure Wut. Hagen war, künstlerisch gesehen, für alle ein Endzeitstadium. Ich war so voll im Kopf und im Gefühl, wollte einfach mehr vom Leben ... nach der harten Ausbildung.“ Hart schon der Kampf ganz zu Anfang noch, als Bub Tänzer werden zu wollen. Seine Mutter konnte er überzeugen mit dem weniger anrüchigen Berufswunsch: „Choreograf“. „Heute ist dieses Tabu weg. Beim holländischen Scapino-Ballett waren gerade jetzt beim Vortanzen 80 Tänzer, und alle technisch vom Feinsten.“

Zwei Jahre seiner Ausbildung hat Goecke übrigens in Konstanze Vernons Münchner Heinz-Bosl-Stiftung/Ballettakademie absolviert. „Ich war kein einfacher Student, voller schräger Ideen“, sieht sich der knapp 36-jährige und heute durchaus zu Pragmatik fähige Goecke im Rückblick.

Seine oft düstere Bühne? „Das entwickelte sich aus einem Notstand. Als ich in Stuttgart in der Noverre-Gesellschaft anfing, hatte ich ganz einfach nur eine dunkle Box. Und dann fand ich es spannend, was sich alles in der Dunkelheit abspielen kann.“ So ein Umwandler ins Künstlerische von Not- und Misständen ist Goecke: „Klar schaue ich mir Fernsehen alles an, auch Dinge, bei denen manche Leute sagen ‚was du dir ansiehst!’. Aber auch die miesen Filme und Programme geben unsere Zeit wieder, die Menschen, wie sie sich gebärden ... so ohne alle Tabus. Da spiegelt sich Wirklichkeit.“

Alles könne für ihn Quelle für ein Stück sein, die Tänzer, der Weg zum Theater, die Kantine. In dieser Arbeitsweise sei auch das nach einer Popsong-Zeile betitelte „Sweet Sweet Sweet“ entstanden. „Es sind Momentaufnahmen von dem, was um mich herum passierte in der Zeit, als ich an dem Stück arbeitete. Ich liefere keine Antworten, eher Fragen. Generell auch keine konkrete Handlung. ‚Nussknacker' ist bis jetzt die Ausnahme. Für mich war diese vorgegeben Geschichte eine richtige Entspannung. Es geht ja immer darum, etwas zu machen, was es so noch nicht gab. Und das ist sehr anstrengend, immer etwas nur aus sich heraus zu holen ... Ich bin selber überrascht, wie da nach Stunden im Probensaal Bewegungen und Szenen entstehen. Nach einer gewissen Zeit macht sich das Stück selber und fragt mich auch. Und ich muss gucken, was das Stück dann braucht.“

Eine Scheu, seine Zweifel und Unsicherheiten preiszugeben, kennt Goecke nicht. Er weiß, dass er sich auf seinen künstlerischen Instinkt und seine gewachsene und jetzt selbstverständliche Autorität verlassen kann. „Pina Bausch ist heute für mich nicht mehr so eine Überfigur, aber ohne dieses Idol hätte ich es nicht geschafft“, gibt er zu. „ Ich weiß, wie schwer es junge Künstler haben. Nicht jeder bekommt solche Möglichkeiten wie ich: die großartigen Tänzer des Stuttgarter Balletts, die guten Arbeitsbedingungen, die Fans, das ist Luxus, für den ich dankbar bin.“

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