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Worüber die deutschen Tanzinteressierten kaum etwas erfahren

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Stuttgart, 13/06/2008

Früher nahmen die wichtigeren deutschen Kompanien meist die lokalen, manchmal sogar ein paar ausgewählte überregionale Kritiker auf ihre Auslandstourneen mit, die ihre Leser dann aktuell über die Reaktionen des Publikums und der Kritik informierten. Heute kann sich das kaum noch eine Truppe leisten – und die lokalen Gazetten, die doch ihre Fußballmannschaften bei jedem ihrer auswärtigen Matches regelmäßig begleiten, schon gar nicht. Allenfalls werden die lokalen Leser hinterher mit irgendwelchen Sammelreports abgespeist – deren Qualität und Verlässlichkeit jeweils von den mitgereisten Pressevertretern abhängt. Auch die Fachzeitschriften berichten kaum noch über die Erfolge (oder kritischen Kommentare), die sich etwa die Hamburger, Münchner oder Stuttgarter bei ihren Auslandsgastspielen einhandeln. Und die überregionalen Zeitungen ignorieren diese zumeist.

So habe ich etwa in der FAZ, deren brillante Moskauer Korrespondentin keine Opernpremiere oder kein Ausstellungsereignis auslässt, nichts über die umfangreiche Repräsentation der deutschen Tanzszene in der Kreml-Metropole gelesen, bei der das Gastspiel etwa von Sasha Waltz und eine Fotoausstellung für beträchtliches Aufsehen sorgte. Vielleicht hängt es ja auch damit zusammen, dass solche Gastspiele heute zur Routine geworden sind – wie zum Beispiel die des Stuttgarter Ballette in Korea, die dort ja fast schon so etwas wie ein Heimatrecht genießen. Umso aufmerksamer nehme ich immer zur Kenntnis, wie die paar ausländischen Fachzeitschriften, die ich regelmäßig lese (es sind nur wenige – so gut wie keine französischen oder italienischen, also hauptsächlich angloamerikanische) auf solche Gastspiele reagieren. Und die brauchen eben immer eine gewisse Zeit, bis sie uns erreichen.

So berichtete die amerikanische Ballet Review in ihrer Winterausgabe 2007/8 über das New Yorker Gastspiel des Hamburger Balletts in der Brooklyn Academy mit Neumeiers „Tod in Venedig“ in doch sehr reservierten Tönen. Am besten kommen noch Thiago Bordin, Silvia Azzoni und Alexander Riabko weg. Haupteinwand: dass „the obsessive fascination of the sexual repressed choreographer (Lloyd Riggins) for the beautiful Tadzio (Edvin Revazov) was hopelessly lame”. Vollkommen d'accord! Besser kommt Forsythe weg, der in „Three Atmospheric Studies“ „gives one much to contemplate about the role of Americans in the world“. Ein Londoner Report stellt Waltzens „Dido and Aeneas“ noch über Morris‘ „King Arthur“: „Dido and Aeneas is expressionist Tanztheater. The thoroughness and consistency of the style made this a mature studied reading of the Purcell: Dido and Aneas as expressionist Tanztheater. Amazing. Genius. Nothing was excessive. Like th German Baroque itself, it is the art of excess; excess is the vocabulary.“ I

m gleichen Heft übrigens ein Nachdruck von Balanchines großem Essay über Petipa („Above All Other Masters“), den er für den 1971 in Leningrad erschienenen Band „Marius Petipa. Materialy. Vosminaniia. Stat'i“ geschrieben hat (deutsch von Eberhard Rebling in „Marius Petipa. Meister des klassischen Balletts. Sebstzeugnisse, Dokumente und Erinnerungen“, Ostberlin 1975). Sehr lohnend auch die zwanzig Seiten über Lincoln Kirstein und seine Rolle als Schöpfer des amerikanischen Balletts (dazu hier auch ein Hinweis auf Martin Dubermans geradezu sensationelle Biografie „The Worlds of Lincoln Kirstein“ bei Alfred A. Knopf in New York). Nichts gehört haben wir unseren Breiten auch über die hier als Resümee abgedruckte Dokumentation des Wiener Tanzes in Washington, DC, unter dem Titel „Beyond the Waltz“, kuratiert von George Jackson, dem Doyen unter den Botschaftern des österreichischen Tanzes in den Vereinigten Staaten.

Im Mai-Heft der englischen Dancing Times werden die beiden Londoner Gastspiele des New York City Ballet und des Stuttgarter Balletts mit „Romeo und Julia“ gegenübergestellt. Mary Clarke kann ihre leichte Enttäuschung über die New Yorker nicht verhehlen: „By the end of the fourth programme it became clear to me that what had been lacking was a powerful direction, from the choice of the repertory to the content of the souvenir programme. No point in still mourning the loss of Balanchine and Robbins but I do wonder now whether the missing giant is actually Lincoln Kirstein … Sad to see so many empty seats, hear how many people were on stand-by tickets at a fraction of their real cover price.” Und Clement Crisp pflichtet ihr bei: „My overriding impression is that NYCB has been seen at less than its best as a repository of choreographic marvels, and the company is diminished thereby.“

Über Crankos Stuttgarter „Romeo und Julia“-Version ist Jonathan Gray im gleichen Heft offenbar nicht ganz so begeistert wie es die bei uns bekannt gewordenen Kritiken in den Londoner Tageszeitungen suggerierten: „Its true there are moments in Cranko's pretty and decorative choreography that prefigures what MacMillan later achieved in his 'Romeo'… In my opinion MacMillan far more successfully and weightily depicts the violent and passionate nature of Shakespeare's drama, and there can simply be no question as to which of he two versions is better – MacMillan's wins hands-down.” Später differenziert er “that Cranko's ‚Romeo‘ seemed to serve as the basic prototype for MacMillan's much more complex view of the ballet.“ Was die beiden Protagonisten angeht, so ist Vogel „elegance personified, and his silky, cat-like quality of movement and dreamy, youthful looks made him an ideal interpreter of Romeo. Wünsche was a pretty and delicate Juliet but rather too saccharine and knowing for my taste – I didn't believe she had never loved a man before she met Romeo.“ Reilly, Tentschikowa, Zaitsev und Godunov kommen gut weg, während „Haydée actually looked more like Juliet's grandmother than her mother, but I appreciated greatly her presence on stage.“

Alles in allem: „It was difficult to judge the overall qualities of the Stuttgart dancers in choreography that has so little meat in it.“ Chacun à son goût! Judith Mackrell ist da offensichtlich etwas anderer Meinung: „Cranko's handling of the narrative is more traditional than MacMillan's and more articulate … Cranko provides a far more logical account of Shakespeare's text.“ Übrigens gleich im Anschluss an die Stuttgarter Kritik folgt ein ziemlich sauertöpfischer Report über das Gastspiel des Nederlands Dans Theater 1 mit dem gleichen Kylián- und Lightfoot/León-Programm, das sie heute Abend in Baden-Baden tanzen. Link: www.dancing-times.co.uk

 

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