Kamasutra, Kathak und Kommerz

„Bollywood –The Show“: furioses Spektakel der Premiumklasse

Heilbronn, 26/02/2008

Bollywood boomt. Obwohl er nicht zu den Wettbewerbsbeiträgen der Berlinale zählt, sind die Karten für den indischen Blockbuster „Om Shanti Om“ innerhalb von rekordverdächtigen sieben Minuten vergriffen. Blitzlicht-Gewitter und Jubelschreie für den Leinwandstar mit Tigerblick Shahrukh Khan, der mit der Reinkarnations-Schmonzette in der Premiumklasse der Festivals gelandet ist. Ebenfalls im Filmmilieu angesiedelt ist das Musik- und Tanzspektakel „Bollywood – The Show“, das noch bis 20. April durch Deutschland tourt.

Das perfekt inszenierte Bühnenwerk - entstanden in Anlehnung an die wirkliche Familiengeschichte der Choreografin der Show Vaibhavi Merchant - ist eine unterhaltsame Mischung aus Nähe und Distanz, sowohl zur historischen Tanztradition als auch zum Bollywood-Kino, das sich als Erbe des Tanzes versteht. Primär hat der Tanz in Indien religiöse Bedeutung, Tänzerinnen und Tänzer gelten als spirituelle Medien, die den Blick auf das Göttliche eröffnen. In diesem Kontext steht auch das Tabu, nackte Körper und sexuelle Handlungen, vom Küssen angefangen, unverblümt auf die Leinwand zu bringen. Substitut für den Liebesakt sind Tänze und Gesänge voller Melancholie, Verzweiflung und Glückseligkeit, die männliche wie weibliche Betrachter vor Verzückung in Ohnmacht fallen lassen.

Der Bollywoodtanz ist jedoch kein einheitlicher Tanzstil, sondern die Melange verschiedenster Tanzrichtungen. Anfänglich waren klassisch-indische Tänze und vielfältige Folkloretänze - vor allem Bhangra und die rajasthanische Folklore - die beherrschenden Elemente im Film. In zunehmendem Maße werden westliche Einflüsse in die Choreografien eingearbeitet. In den 1960er Jahren wird in Tanzszenen getwistet und „geschüttelt“, in den 1980er ist der Moonwalk à la Michael Jackson angesagt und heute sind Elemente zeitgenössischer Modetänze wie Hip Hop, Video-Clip-Dancing und der immergrüne Discotanz beliebt. Fünfzig Top-Darsteller präsentieren ein Dutzend Tanznummern aus vergangenen Kinotagen. Der Retrospektive aus 80 Jahren Filmgeschichte, dem Rausch aus knallbunten Kostümen, Regenbogenfarben-Geglitzer und höchster Bewegungskunst, ist eine Story unterlegt, die sich angenehm vom überstrapazierten Schema Boy-meets-Girl abhebt.

Hauptperson Ayesha Merchant, die Enkelin des Kathak-Tanzmeisters Shantilal, hat in Mumbai (Bombay) als Choreografin Karriere gemacht. Genervt vom Regisseur, genannt „King of Kitsch“, und frustriert über die Trivialität der Traumfabrik – sponsored by Kamasutra-Condoms - besinnt sie sich auf ihre tanzkulturellen Wurzeln, die Anfänge des indischen Kinos, sowie ihre Jugendliebe Uday. Vaibhavi Merchant lässt die Handlung von „Bollywood – The Show“ in der Wüste des Landstrichs Rajasthan, in einem fiebrig rotflackernden Shiva-Tempel beginnen. In den Händen der Merchant-Familie liegt die Verantwortung für die Traditionen des Kathak-Tanzes, des Tanzes der Götter. Shantilal Merchant ist der letzte in der langen Linie der Gurus; die Tradition droht auszusterben.

Früher war Shantilal Regisseur und Choreograf der goldenen Ära von Indiens Filmindustrie, Bollywood. Die Zerrissenheit des Landes hat die Herzen der Menschen gebrochen und Shantilal glaubte, dass das Kino die Wunden heilen könnte. Er verließ die Filmindustrie in einer Zeit, in der sie nur noch kommerziell und gesetzlos zu werden drohte, beeinflusst von westlichen Trends und Geld. Er gründete seine eigene Tanzschule in der Wüste, wo er die klassisch, folkloristische Tanzkunst unterrichtet und am Leben erhält. Seine Enkelin Ayesha verlässt gegen seinen Willen Rajasthan und wird die Königin unter den Choreografen und Regisseuren des heutigen Bollywood. Man nennt sie „Die Prinzessin der Romantik". Alles was sie anfasst, wird zu Gold. Obwohl beide einer Familie entstammen, könnten ihre Auffassungen von Filmchoreografie nicht unterschiedlicher sein. Shantilal glaubt, dass Filme das Leben der Menschen verändern können. Ayesha sagt, dass Filme den Menschen helfen sollen, der Realität zu entfliehen. Der Kern des Konflikts liegt in Ayeshas Rebellion gegen ihre klassische Ausbildung, sie entscheidet sich für die modernen westlichen Tanzstile. Die Kluft scheint unüberwindbar zu sein. Auf der stufenartig ansteigenden Bühne dominieren explosive Tanz- und Musikaktionen im raschen Wechseln mit Sprechszenen - oft mit selbstironischen Seitenhieben - und bestem Erzähltheater. Alles in Englisch, auf zwei Leinwänden gut lesbar ins Deutsche übersetzt.

Wie im Film heißt auch in der Show die Spielregel Nummer eins: Happy End. Das ist nicht die ausgelassene Hochzeitsgesellschaft im ländlichen Rajasthan - wo an sieben Tagen acht Feste gefeiert werden und Männer ihre Kamele ebenso wenig in Zaum halten können wie ihre Frauen - sondern Ayeshas Nominierung zum Shiva-Award als bester Choreografin mit einem furiosen Bollywood-Tanzfinale. Die Stimmung durchlebt zwischen Hochzeit und Preisvergabe noch ein Tal der Trauer, denn Shantilal, der geglaubt hatte, dass Filme das Leben der Menschen verändern könnten, verfällt desillusioniert dem Alkohol. Er torkelt die Treppe herunter und resümiert: „Nichts ändert sich im Leben, außer der Leber“ und stirbt. Nicht zuletzt Dank der fantastischen Charakterdarsteller, der vielseitigen Tänzerinnen und Musiker ist die Schau ein Premiumprodukt der Unterhaltungsindustrie, das zudem ein interessantes Licht wirft auf den kultur- und gesellschaftspolitischen Stellenwert des Tanzes in Indien, wo ganz selbstverständlich Frauen, die aus der Tanzwelt kommen, Filmregie führen.

 

Link: www.bollywoodshow.de

 

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