Gastspiel des „Nederlands Dans Theater II“ in der Jahrhunderthalle

Überzeugender Auftakt für „Tanzoffensive Rhein/Main“

Frankfurt, 05/05/2008

Alte Zeiten wurden wach am Wochenende. Zeiten, in denen die damals noch firmeneigene Jahrhunderthalle Höchst mit ihrem niveauvollen Ballettprogramm Tanzenthusiasten der gesamten Region anlockte. Die Tanzszene ist denkbar ausgedünnt, nachdem die S.O.A.P.-Kompanie des Künstlerhaus Mousonturm mit dem Weggang des Choreografen Rui Horta aufgelöst und das Theater am Turm (TAT) geschlossen worden war, zudem als jüngste Entwicklung die Forsythe-Kompanie freigesetzt wurde, die nun zwischen Dresden und Frankfurt pendelt. Diesem Zustand will Dieter Buroch, langjähriger Leiter des Mousonturms, Rechnung tragen. Er konnte einige Mitstreiter für seine „Tanzoffensive Rhein/Main“ gewinnen, unter anderem die Höchster Jahrhunderthalle. Zum Auftakt gastierte am Samstagabend das „Nederlands Dans Theater II“, am 12. August folgen die Akram Khan Company und das National Ballet of China.

Das Nederlands Dans Theater aus Den Haag zählt zu den führenden Tanzkompanien der Welt, die Choreografien des langjährigen Leiters Jiri Kilyan wurden zu Klassikern. Neben dem NDT I hat die Kompanie zudem noch eine Gruppe von jungen Tänzern (NDT II), die zwischen 17 und 23 Jahren alt sind. Die Gruppe von älteren (NDT III), die auch jenseits der 42 noch tanzen wollen und können, wurde 2006 aus finanziellen Gründen eingestellt, soll aber wieder belebt werden. In Frankfurt-Höchst zu Gast waren also die jungen Tänzer und Tänzerinnen mit drei Stücken von vier Choreografen. Und um es vorweg zu nehmen, das Publikum war begeistert, zumindest von den ersten beiden Produktionen, die dritte war wohl eher befremdlich, ist aber Beleg für die tänzerische Bandbreite des Nederlands Dans Theater. Der Fokus liegt längst nicht mehr auf der Neoklassik, auch Modern und Contemporary Dance sind selbstverständlich, heute gehören auch darstellerische und akrobatische Elemente dazu. Eine immer wiederkehrende Beschreibung lautet „kraftvoll“, das bedeutet auch die Körper der Tanzenden verändern sich hin zum Athletischen. Das Gemeinsame der drei in Frankfurt gezeigten Stücke: Sie spielen vor schwarzem Hintergrund, kommen ohne Farben aus (bis auf das Innenfutter einiger weniger Kostüme), sie beziehen ihre atmosphärische Wirkung von der Lichtregie und charakteristischen Musikstücken, bei allen dominieren die männlichen Tänzer, als Solist und in der Gruppe, und es gibt keine klassischen Pas de Deux.

Der Einstieg ist Ehrfurcht gebietend und geheimnisvoll. „Sleight of Hand“ wurde vom Choreografen-Ehepaar Paul Lightfoot und Sol Léon zu einer Sinfonie von Philipp Glass taktgenau inszeniert (Premiere war im März 2007). Alles lebt aus dem Dunkel, das vom punktgenauen Licht in geradezu magischer Weise in Szene gesetzt wird. Unbeweglich wie zwei Säulenheilige wacht ein Paar in luftiger Höhe über das Treiben unter ihnen; sie flankieren nicht nur den Eingang, sondern erzählen mit ihrem Oberkörper Geschichten. Sie kommentieren gestenreich und mit ausdrucksstarker Mimik, um im nächsten Moment zu Posen zu gefrieren. Gekleidet sind sie wie Vorfahren aus dem 19. Jahrhundert: in ernstes, hoch zugeknöpftes Schwarz. Unter ihnen schreitet ein junger Mann auf die Bühne, er scheint zwischen „der Frau“ und seinem Alter Ego hin- und hergerissen zu sein. Die gesellschaftliche Konvention gewinnt: drei Tänzer im altertümelnden Gehrock überzeugen den Mann mit nacktem Oberkörper sanft, aber ausdauernd zu verschwinden - nach unten in den Orchestergraben, von dem sie zuvor höchst effektvoll aufgestiegen waren. Das Ende ist archetypisch: die weibliche Säulenheilige hat plötzlich einen entblößten Oberkörper und das Paar tanzt das ewige Liebesduett.

„Dream Play“ des schwedischen Choreographen Johan Inger (die Premiere fand im November 2000 statt) ist eine Interpretation von Strawinskys berühmtem „Le Sacre du Printemps“. Sie hat nicht die archaische Kraft des Erwachens der Natur wie bei Pina Bausch, sondern nimmt das Thema eher spielerisch und holt es auf die Ebene des sexuellen Erwachens eines jungen Mannes herunter. Die Gruppe der männlichen Tänzer kommt in Röcken und auf Söckchen daher, was sie in den ungemein energiereichen und stampfenden Gruppentänzen, noch mehr allerdings wenn sie in Reih und Glied aufgestellt sind, wie römische Legionäre wirken lässt. Im augenzwinkernden Schlussbild entpuppen sie sich als das, was sie im Herzen wohl noch sind: aufbegehrende Suppenkaspar aus dem „Struwwelpeter“-Buch.

Das dritte Stück ist das einzige für alle 14 Tänzer der gesamten Kompanie, Choreograf ist der junge Franzose Medhi Walerski, der wie die meisten Hauschoreografen zunächst Tänzer im Ensemble war. „Mammatus“ hatte erst im Februar 2008 Premiere, muss sich also noch bewähren im Repertoire. Das nach einer Quellform von Wolken benannte Stück beginnt und endet mit dem eigenwilligen Fallen von Schneeflocken, die offenbar nur gezielt auf den Protagonisten rieseln, nicht aber die Gruppe treffen. Diese wird in zauberhaften Bildern choreografiert: in Reihe mit sich bewegenden Schlangenarmen oder als vorwärts schreitender Turmbau. Eine Tänzerin verharrt die ganze Zeit über in einem Karré, das mit Schotter gefüllt ist, den sie geräuschvoll bewegt und mit dem sie einigen Staub aufwirbelt. Der Sound bestimmt die angespannte Atmosphäre: eine Neukomposition von Dirk Haubrich, bei der ein unendliches Wummern und Dröhnen herrscht, das nur von plötzlicher Stille oder von metallischem Kreischen unterbrochen wird.

Weitere Gastauftritte im Mai: am 4. im Theater Siegen, am 5. im Forum Leverkusen, am 7. im Forum am Schlosspark in Ludwigsburg.

 

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