Das Leben ist eine Baustelle

Premiere von „E.T.E. – Extended Teenage Era“ des Renegade Theatre im Künstlerhaus Mousonturm

Frankfurt, 12/01/2008

„E.T.E. – Extended Teenage Era“ – der Titel ist Programm. Dieses Tanztheaterstück von Samir Akika ist eine Befindlichkeitsstudie der gegenwärtigen Generation von jungen Künstlern, die gut ausgebildet, aber ohne festen Job sind. Da sie keine Chance haben, ihren Platz in der Erwachsenenwelt zu finden, leben sie in Abgrenzung zu den Ordnungsvorstellungen ihrer Eltern und füllen ihre eigene Welt mit der Kraft der Fantasie und Erinnerungen aus der Teenagerzeit. Die sieben Darsteller erzählen von ihren persönlichen Erfahrungen, etwa von Kindheitstraumata wie dem Verlust eines Pferdes oder dem Absturz eines Flugzeugs. Das Stück ist gespickt mit ironischen Zitaten, auch zur eigenen Ballettausbildung, und nimmt immer wieder die prägende Dominanz von Fernsehshows aufs Korn, auch kommentieren und kopieren sie genüsslich ihre Helden aus Musik- und Filmwelten.

Das ganze Stück beeindruckt mit spielerischer Leichtigkeit und subversivem Witz sowie mit absoluter Tanzperfektion und Körperbeherrschung. Ein großes Plus war der kleine Junge, der in der Show dabei sein durfte und den Großen manchmal die Show stahl; entzückend sein Versuch eines Breakdance-Solos. Ein Lehrstück auch für Pädagogen und Eltern: Es wurde sehr deutlich, dass Kinder durch Nachahmung lernen. Die pausenlose, zweistündige Aufführung im Frankfurter Künstlerhaus Mousonturm begeisterte alle Altersgruppen des gut durchmischten Publikums. Abwechslung ist das Zauberwort. Den Wechsel zwischen Tanz und Schauspiel, Musik und Wort hat Tanzregisseur Samir Akika von seiner Mentorin Pina Bausch an der Folkwangschule übernommen. Dazu gesellen sich Regievorbilder wie Quentin Tarantino und Jim Jarmush, deren Filme von Zeitsprüngen und Parallelhandlungen charakterisiert sind. Mit dabei sind Videoeinspielungen und verschiedene Schauspieleinlagen, etwa die Comedy-reife Vorstellung von „Frühstückern“ (Frederik Rohn). Für Abwechslung sorgen weiterhin Slapstick, Pantomime und Schattenspiel, die Musik reicht von schmelzenden Liebesliedern bis zu harten HipHopBeats, von elegischer Klassik bis zum erdigen Funk-Sound der 60er/70er Jahre.

Die Bühne wird dominiert von ständigen Basteleien, an denen alle beteiligt sind, frei nach dem Motto „Das Leben ist eine Baustelle“ und Baumärkte überlebensnotwendig (Till Botterweck, Fabrizio Terranova). Da wird mit großer Hingabe und Konzentration gesägt und geschnitten, gemalt und geklebt, es werden Pappwände aufgehängt und wieder abgerissen, Spielzeuge improvisiert und am Ende eine riesige Konstruktion gebaut, in der ein Gartenschredder die Kettenreaktion auslöst, bei der ein Ball schließlich den vor sich hin brubbelnden Fernseher ausschaltet. Damit erhält die Bildende Kunst eine Live-Version auf der Bühne; bekannte internationale Vertreter der „Street Art“ sind Fischli & Weiß, in Deutschland Marko Lehanka.

Erste Tanzszenen sind eher verhalten. Bis die angekündigten Breakdance- und HipHop-Choreografien zu sehen sind, ist Geduld angesagt. Doch dann brechen diese mit aller Macht durch: Sie machen atemlos beim Zuschauen und sind in ihrer fulminanten Akrobatik und Sprungkraft kaum zu beschreiben. Ein Haupteindruck: das Gesetz der Schwerkraft gilt offenbar nicht für die fünf Jungs (Christian Zacharass, Denis Kuhnert, Frederik Rohn, Gabrio Gabrielli, Julio C. Iglesias) und das Mädel (Ulrike Reinbott). Die zweite Tänzerin Dwana Dryhorub ist anfangs eher für englische Sprechparts zuständig, erst gegen Ende zeigt sie ihren Modern-Dance-Stil. Dass alle die modernen Bühnentanzformen beherrschen, zeigen vor allem die Duette und Soli im ausklingenden Teil, doch immer sind es ungewöhnliche Kombinationen, wie in der Off-Szene üblich.

Etwas Besonderes bietet Christian Zacharass, der als europaweit führender Popping-Tänzer gilt, mit seinen zuckenden, roboterhaften Einlagen und mit seiner Karaoke-Show vom Feinsten: als großspurig-eleganter Dean Martin und mit beckenbetontem Soul à la James Brown. Für die Dramaturgie zuständig ist Anna K. Becker, die 2007 ihr Diplom bei den Gießener Theaterwissenschaften absolvierte.

„E.T.E. – Extended Teenage Era“ hatte viele Förderer, es entstand in Kooperation mit dem Pumpenhaus in Münster, wo es bereits zu sehen war, mit den Flottmann-Hallen in Herne und dem Tanzhaus NRW in Düsseldorf, wo es am 8./9.02. bzw. am 15./16.02. aufgeführt wird. Im Frankfurter Mousonturm ist es heute Abend noch einmal zu erleben.

Link: www.mousonturm.de

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