Auf ARTE: „bODY rEMIX/ gOLDBERG vARIATIONS“ von Marie Chouinard

Ballett am Stock

ARTE, 20/09/2008

Dass das Ballett am Stock geht, befürchten Beobachter zwar schon lange. Aber dass daraus jemand eine Choreografie macht, ist zumindest originell. Marie Chouinard, in der Kunstmetropole Montréal beheimatet, hat es jedenfalls versucht, und „bODY rEMIX/ gOLDBERG vARIATIONS“ ist denn auch alles andere als ein Misserfolg, wenn auch nicht unbedingt ein Beitrag zu den eben beendeten Paralympics. Dafür ist das Spiel mit dem scheinbar verstümmelten Körper viel zu spektakulär und seine vermeintliche Unvollkommenheit auf einer etwas pervertierten Perfektion gegründet.

Stangen, Prothesen und andere Hilfsmittel sind jedenfalls aus „bODY rEMIX/ gOLDBERG vARIATIONS“ nicht wegzudenken, und Marie Chouinard nützt die chromblitzenden Utensilien von Liz Vandal, um das Bewegungsvokabular des klassischen Balletts in einem anderen Licht erscheinen zu lassen. Da kommt einer nur mit Krücken von der Stelle, während eine andere mit ihrem Schuh wie ein Specht auf den Boden klopft. Animalisches hat die kanadische Choreografin schon immer inspiriert, und in einer der schönsten Szenen ihres bisweilen befremdlichen Stücks formen sich die Spitzenschuhe in den Händen der Tänzer zu einem Ensemble schnäbelnder Flamingo-Köpfe. An Hahnenkämpfe erinnert ein Männer-Duo, das Marie Chouinard zwischen zwei Reckstangen positioniert, und Vögeln gleich schweben zwischendurch immer wieder einzelne Frauen, an Seilen aufgehängt, über die Bühne.

Die Auseinandersetzung mit Themen wie Schönheit und Deformation, Vollkommenheit und Kontrollverlust steht im Mittelpunkt dieser Performance, heißt es in einer Presseerklärung, und tatsächlich bewegt sich das Werk zwischen Extremen. So wie die Choreografin die Stimme Glenn Gloulds (und sein Bach-Spiel) verzerrt und verändert, veräußert sie auch das Ballett – und in seine Bestandteile zerlegt, entblößt sich der Tanz ebenso wie seine Interpreten. Anders zusammengesetzt und durch Stangen abgestützt, verwandelt sich der tanzende Körper in ein „hybrides Wesen zwischen Mensch und Maschine“, ohne dass ihm deshalb seine Sinnlichkeit, besser: seine Sexualität abhanden kommt.

Im Gegenteil, ein lüsterner Tänzer zeigt, was man mit einer Stange alles anstellen kann, und was ein rechter Trapez-Akt ist, kann der Zuschauer in „bODY rEMIX/ gOLDBERG vARIATIONS“ endlich mal erfahren. Marie Chouinard hat da viel Formfantasie, und zwischen Bauhaus-Tanz, Momix und La La La Human Steps findet sie viele Möglichkeiten, ihr Thema auszureizen. Erlaubt ist, was gefällt – und das Publikum zeigt sich bei der Aufführung, die die Choreografin fürs Fernsehen selber ins Bild setzt, nicht ohne Grund begeistert. Das Hinschauen lohnt sich – diesen Sonntag um 6 Uhr in der früh und am 29. September um 8 Uhr auf ARTE.

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