Auf der Suche nach dem wilden, schönen Tier

„Lulu“ in der Zweitbesetzung

Stuttgart, 12/02/2008

Endlich sind die Stuttgarter Tänzer wieder in ihrem Element. Nach einer deprimierenden „Schwanensee“-Reihe und der ungewöhnlich langen Anlaufzeit für die letztendlich doch noch strahlend schönen „Initialen“ können sie jetzt in Christian Spucks „Lulu“ wieder dramatisch tanzen, und da macht ihnen so schnell keiner was vor.

Bei der zweiten Besetzung wackelte es zwar noch etwas im Corps, aber das Stück entwickelt nach wie vor seinen dunklen Sog aus verzweifelten Morden und schwarzem Vaudeville. Als Debütantin in der Titelrolle entwickelt Halbsolistin Laura O’Malley leider keinen persönlichen Stil, keine eigene Bewegungsart. Ihre Interpretation entspricht eher der klischeehaften Vorstellung einer Lulu - sie wirft den Männern raffinierte Blicke zu, zwinkert manchmal berechnend, kurzum: All ihre Faszination beruht auf ihrer körperlichen, sexuellen Wirkung, die Dimension des „wilden, schönen Tieres“, wie es bei Wedekind heißt, fehlt ihr. Als schmieriger Zuhälter Schigolch lässt der Armenier Arman Zazyan manche Sprünge so aggressiv in die Luft explodieren wie damals Eric Gauthier und fegt mit einer unterschwelligen Aufsässigkeit, ja Bösartigkeit zwischen die diversen Liebhaber. Bei seinem Debüt allerdings war er nervös und fahrig, die blutigen Texte blieben meistens unverständlich.

Jason Reilly legt als Dr. Schöning weniger Wert auf die verlorene Würde des gutsituierten Intellektuellen als auf die pure körperliche Anziehungskraft, die ihn trotz aller Gegenwehr zu Lulu und ins Verderben treibt. Während Evan McKie den jungen Alwa Schöning eher beamtenhaft korrekt aussehen lässt, bleibt Dimitri Magitov viel zu harmlos für das fiese, schöne Tier Rodrigo.

Was für ein Unterschied aber in der Rolle des ersten „zu Tode getanzten“ Liebhabers, des Malers Schwarz: Hier wirft sich William Moore mit einer ganz anderen Vehemenz, mit unglaublicher Ausdruckskraft in Spucks Choreografie. Gerade im Vergleich zur klassisch-braven Erstbesetzung Alexis Oliveira beweist er, was einen dramatischen Tänzer ausmacht - jeder Schritt hat Bedeutung, jede Bewegung bringt ihn dem Abgrund näher. Moore nimmt sich erstaunliche Freiheiten mit seinem Material, tanzt weniger „buchstabengetreu“ und dafür so viel dramatischer. In jeder neuen Rolle, ob rasant und heiter in „Dances at a Gathering“ oder mit schönen Sprüngen im vierten Satz von „Initialen“, bestätigt der junge Engländer sein fulminantes Talent und man blickt mit größter Spannung seinem ersten Romeo oder Lenski entgegen.

Link: www.stuttgart-ballet.de

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