Wie aus dem Ei gepellt

Chemisch gereinigt und garantiert jugendfrei: Ray Barras „Carmen“

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Karlsruhe, 17/11/2007

Wer heute ein „Carmen“-Ballett plant, sieht sich mit – mindestens – drei Welthits konfrontiert: mit Roland Petits genialer Version von 1949 – mit Alberto Alonsos musikalisch pfiffiger Schtschedrin-Bearbeitung der originalen Bizet-Vorlage von 1967 – und mit Carlos Sauras Tanzfilm von 1983. Gemessen an ihnen ist die „Carmen“ am Badischen Staatstheater in der Version von Ray Barra, gewidmet dem Andenken John Crankos, gescheitert. Ehrenvoll, aber eben: gescheitert, denn sie vermittelt keinen Hauch von dem erotischen Frisson der Opéra en quatre actes von Georges Bizet.

Es knistert nichts in diesen knapp 150 Minuten! Zu brav nachgetanzt die Story, wie aus einem Opernführer für Jugendliche, zu gesoftet das musikalische Arrangement des griechischen Komponisten Kostis Kritsotakis (so dass man sich zurückhalten muss, nicht laut mitzusingen), zu entsext die handwerklich durchaus gediegene Choreografie und Inszenierung von Ray Barra, Crankos erstem Romeo und Onegin, zu touristisch glamourisiert die Ausstattung von Klaus Hellenstein, wie für einen TUI-Prospekt „Fahr‘ mal nach Andalusien“, zu proper hergerichtet die hübschen Damen und Jungmänner des Karlsruher Balletts, wie aus der chemischen Reinigung des Bundesverfassungsgerichts. Gleichwohl: Riesenbeifall für die aufwändige Produktion. Fehlten nur noch die stimulierenden „Olé!“-Akklamationen der Karlsruher Ballett-Aficionados.

Es sieht ja auch alles so hübsch aus, so wonneproppig! Und es wird getanzt – na ja, nicht dass die Fetzen flögen, aber durchaus mit dem Stempel des Mannheim-Karlsruher Akademie-Siegels für tänzerische Qualität versehen: von Anaïs Chalendard als garantiert nikotinentwöhnter Carmen, von Flavio Salamanka als finsterem Drei-Tage-Bart-José, von Pilar Giraldo als herzensinnige Verlobte von José, von Marcos Meñha als etwas schmalbrüstigem Torero – und all den anderen Sevillanern aus der Fächerstadt, inklusive der Grauen Todeseminenz von Matthias Deckert. Und von einem, der als Josés Journalistenfreund durch das Stück geht, mit bürgerlichen Namen Arman Aslizadyan heißt, und von dem ich – des Namens wegen – vermute, dass er der sevillanische Honorarkonsul aus Eriwan ist, jedenfalls tanzt er so elektrisierend und so funkensprühend, als ob er gerade aus der dortigen Tänzerschmiede käme. Könnte ja sein, dass so, wie einst die besten deutschen spanischen Tänzer aus dem Erzgebirge kamen, heutzutage die andalusischblütigsten Tänzer in den Meisterklassen am Rand der Ararat-Ebene ausgebildet werden.

Schade übrigens, dass es keine Termin-Absprache der Ballettdirektionen von Karlsruhe und Stuttgart gab, so dass beide am gleichen Abend zu Galavorstellungen einluden: Karlsruhe zur „Carmen“-Premiere und Stuttgart zur Verleihung des John-Cranko-Preises. Mit dem Hubschrauber der Ballett-Bundeswehr hätte ich es ja vielleicht geschafft, bei beiden zugegen zu sein, doch so muss ich mich leider damit begnügen, Sue Jin Kang elektronisch zu ihrer Preisverleihung zu gratulieren.

 

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