STREIK

Warum kein aktuelles koeglerjournal über die heutige Premiere erscheint

oe
Stuttgart, 06/04/2007

Die erste Ankündigung der Premiere des Ballettabends „Béjart/Robbins“ hatte nichts als freudige Erwartungen geweckt. Na ja – eine „richtige“ Premiere war‘s zwar nicht, denn es handelte sich um zwei Wiederaufnahmen. Die allerdings gehörten zu den Glanzstücken des Stuttgarter Repertoires: „Gaîté parisienne“ und „Dances at a Gathering“. Erst sehr viel später stutzte man bei der Realisierung des Datums: am 6.April 2007 im Opernhaus. Wie denn das? Der 6. April fällt in diesem Jahr auf den Karfreitag, den „höchsten Feiertag“ der evangelischen Kirche. Da handelte es sich offenbar um eine Unüberlegtheit.

Nichts gegen „Dances at a Gathering“ – doch „Gaîté parisienne“, diese frivole Komödie des Fin de siècle mit den leicht geschürzten Cancan-Tänzerinnen und lüsternen Herren der Pariser Lebewelt am Tag der Kreuzigung Christi? An eine bewusste Provokation mochte man nicht glauben, eher an eine bodenlose Geschmacklosigkeit. Immerhin wiesen wir hier schon vor vier Wochen auf die Unzeitgemäßheit dieser Terminierung hin. Und hatten eigentlich damit gerechnet, dass die Herren Intendanten des Staatstheaters ihren Ballett-Kollegen ins Gebet nehmen und ihn auf die Unmöglichkeit dieser Terminierung aufmerksam machen würden (wenn ihm denn schon selbst nach immerhin 38-jähriger Residenz in dieser Stadt nicht die Unstatthaftigkeit dieses Vorhabens klargeworden war). Doch nichts geschah, und so darf man denn wohl davon ausgehen, dass die Premiere heute Abend stattfinden wird: ein Affront für die christlich eingestellten gestellten Bürger dieser Stadt – und das in Zeiten, da allenthalben über die geschärfte Sensibilität der Menschen aller Glaubensrichtungen in religiösen Fragen diskutiert wird.

Man versuche sich vorzustellen, welche Debatten ein solcher Vorfall etwa in New York ausgelöst hätte, wenn das American Ballet Theater für den Karfreitag dieses Programm angekündigt hätte! Wie die Kirchen dort auf die Barrikaden gegangen wären, wochenlange Leserbriefschlachten in den Zeitungen getobt hätten und, wenn denn die Vorstellung wirklich stattgefunden hätte – was allerdings unsere Fantasie übersteigt – die Premierenbesucher einen Spießrutenlauf zwischen den Streikposten zu absolvieren gehabt hätten und drinnen massiv der Ablauf der Vorstellung gestört worden wäre ... Wir wünschen uns in dieser Hinsicht wahrlich keine amerikanischen Verhältnisse, doch dass hierzulande eine solche Herausforderung der zivilen Umgangsformen so sang- und klanglos akzeptiert wird, erfüllt einen doch mit einer resignierenden Trauer über einen allzu großherzig definierten Toleranzbegriff, dem man sich nur individuell verweigern kann, indem man dieser Premiere fernbleibt. Und danach fragt, wie sehr denn das Stuttgarter Ballett wirklich in dieser Stadt integriert ist, wenn es sich so ostentativ gegen ihre Werteordnung stellt.

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