Plädoyer für ein erweitertes Dacapo

Das „Martin Schläpfer“-Buch

oe
Stuttgart, 26/07/2007

Dass das Leben diejenigen betraft, die zu spät kommen, wissen wir spätestens seit Gorbatschow. Wie aber verhält es sich mit denjenigen, die zu früh kommen, den Frühchen sozusagen? Werden die vom Leben belohnt? Da habe ich so meine Zweifel! Gekommen sind sie mir angesichts eines Buches, das mich erst mit einiger Verspätung erreicht hat. Es handelt sich um „martin schläpfer ballettmainz, fotos bettina müller“ und ist erschienen, herausgegeben von Anne do Paço. im Daco-Verlag, Stuttgart 2006, 160 Seiten, 127 Farbfotografien, 23 s/w-Fotografien, Texte von Jochen Schmidt, Richard Merz, Wiebke Hüster, Hans van Manen, Birgit Keil, rosalie, Keso Dekker, Klaus Wowereit u.a., ISBN 978-3-87135-052-B, 29,95 Euro.

Ein wahres Prachtexemplar von Buch, wie es dem Anspruch des Verlegers und seines Designers Gerd Friedrich entspricht: großformatig, toll aufgemacht, reich bebildert, interessante Texte – mit einem unübersehbaren Schönheitsfehler. Es präsentiert eine großzügige Auswahl der Ballette von Schläpfer und ein paar seiner nach Mainz eingeladenen Gastchoreografen. Alle bis November 2006 dargebotenen XXII Programme, exakt aufgelistet und in numerischer Reihenfolge dargeboten, wie es in Mainz der inzwischen eher enervierende Brauch ist. Dazwischen gestellt sind einzelne Kurzkommentare der verschiedensten Persönlichkeiten – von Peter Appel („Es ist beglückend wahrzunehmen, wie Martin Schläpfer bei aller Auseinandersetzung mit so vielen anderen Ansichten und Wahrheiten als nur den eigenen, die Kunst der Konversation pflegt – Respekt!“) bis Klaus Wowereit („Martin Schläpfer! Tanz! Mainz! Wunder! Das möchte man doch auch einmal in Berlin erleben.“ Fehlt nur noch: „Wow!). Eine gute Idee, trefflich realisiert.

Eingeleitet wird der im eleganten Querformat gedruckte Band mit dem Prolog der Herausgeberin Anne do Paço. Es folgen drei größere Textbeiträge. Der erste stammt von Jochen Schmidt, der Schläpfers so erstaunliche wie erfreuliche Karriere in der Reihenfolge der Ballette quasi auf Augenhöhe beschreibt (so pointiert, dass man wieder einmal bedauert, dass er dem Tagesgeschäft der Tanzkritik bei einer der großen überregionalen Zeitungen verloren gegangen ist). Den zweiten hat Richard Merz beigesteuert, Schweizer Landsmann von Schläpfer, der die Vielgestaltigkeit seiner Persönlichkeit und seines Oeuvres aus der Perspektive „Intuition und Kopf“ ins Visier nimmt (auch er, wie Schmidt, ein Profi, den man immer mit Gewinn liest). Den dritten, „So schön kompliziert kann Ballett sein“ hat sich unsere Pythia aus Frankfurt einfallen lassen (sie befasst sich hauptsächlich mit dem Teddybär in Schläpfers „Rendering“ – doch nicht etwa, um uns einen Bären aufzubinden?).

Nicht sie, sondern der Alleinvertretungsanspruch der Fotografin Bettina Müller ist es, der mich aufregt. Kein anderer Fotograf ist zugelassen. Und so erscheinen die Ballette alle in Fotos von ihr. Und die mag man, oder auch nicht. So lange es sich um Schwarzweiß-Fotos-handelt, ist ihnen ein gewisser Reiz nicht abzusprechen. Doch ihre Farbfotos finde ich grässlich – als wenn sie sie sämtlich in einen Blausäuretopf getunkt hätte. Und so sehen die Tänzer auf ihnen durchweg wie Lemuren aus, als probten sie gerade die Unterweltsszene in Glucks „Don Juan“-Ballett.

Der Trouble des Zufrühgekommenen besteht für mich darin, dass Schläpfer sich inzwischen einem anderen Fotografen zugewandt hat: Gert Weigelt, dessen fotografische Bildästhetik in ihrer Klarheit und Reinheit exakt der tänzerischen Ästhetik von Schläpfer entspricht. Wäre das Buch zum Abschluss der Mainzer Ära Schläpfer in zwei Jahren erschienen, hätten wenigstens die Weigelt-Fotos die Schlussphase angemessen dokumentieren können. Doch haben es Bücher ja nun einmal an sich, dass sie eine lange Inkubationszeit benötigen – wesentlich länger als die Embryos, die sich mit neun Monaten begnügen. Und so kann man sich vorstellen, dass an diesem 2006 erschienenen Buch seit etwa 2004 gearbeitet wurde. Und da lebte ganz Mainz ja noch in einer einzigen Schläpfer-Euphorie, von der man hoffte, dass sie einmal nach Bournonville in Kopenhagen und Petipa in St. Petersburg als eine der langfristigsten Ären in die Ballettgeschichte eingehen würde. Das wird nun nicht der Fall sein, wenn Schläpfer im Sommer 2009 sein Mainzer Engagement beendet. Aber vielleicht wird dann ja eine zweite Auflage die komplette Mainzer Schläpfer-Ära von 1999 bis 2009 bilanzieren, inklusive Weigelt-Fotos. Das ist der Verlag eigentlich seinem Namen schuldig – auch wenn dem Daco derzeit noch das ap fehlt, um ein Dacapo daraus werden zu lassen!

Noch ein Nachwort zum Taylor-Finale am Münchner Gärtnerplatz. Ich hatte mich schon gewundert, in beiden Pausen keinem einzigen Münchner Kollegen begegnet zu sein, keiner E.E.F., keiner M.G., keiner B.K. – und wie sie sonst noch alle heißen – und auch nicht dem freundlichen Herrn, den man praktisch in jeder Umbesetzung beim Staatsballett sieht. Wie denn das? Sollten sie sich, doch bekannt als engagierte publizistische Begleiter des „balletttheater münchen“, wirklich diese Dernière haben entgehen lassen? Doch meine Fahndungen im Internet blieben vergeblich – bis auf einen Bericht in der Süddeutschen Zeitung, von einem Opernkritiker des Blattes. Also erkundigte ich mich bei der Dramaturgie. Doch die bestätigte mir, dass lediglich dieser eine Report in der SZ erschienen sei. Und das stimmte mich ein wenig traurig. Nach elf erfolgreichen Taylor-Spielzeiten in dieser doch durchaus tanzaufgeschlossenen Stadt eine, wie mir scheint, etwas magere Bilanz.

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