Mexiko, global vermixt

Die Compagnie Philippe Decouflé beim „movimentos“-Festival

oe
Wolfsburg, 29/04/2007

Von den vielen internationalen Tanz-Festivals sind die Wolfsburger „movimentos“ zweifellos das am wenigstens eurozentrisch ausgerichtete. Sie verdanken das – außer der überaus großzügigen Volkswagen-Sponsorship – vor allem der Neugier ihres Kundschafter Jürgen Wilckes, inzwischen sicher die Nummer eins als Weltreisender des Tanzes.

So stehen denn auch diesmal Südamerika, Israel, Japan und Schweden (mit dem belgischen Marokkaner Sidi Larbi Cherkaoui) im Mittelpunkt des insgesamt fünf verschiedene Kompanien offerierenden Programms – und auch Frankreich, vertreten durch die Compagnie DCA (Decouflé & Complices Associés) gibt sich in ihrer knapp hundertminütigen Non-Stop-Produktion „Sombrero“ ausgesprochen iberoamerikanisch inspiriert. Genauer: mexikanisch, wobei sich ihr Gründer, der 1961 geborene Philippe Decouflé auf eine Traumreise begibt. Decouflé ist ihr Inspirator und Animator – bekannt geworden durch seine Großproduktionen bei diversen Olympischen Festspielen, in Deutschland bisher eher frustriert, denn eigentlich hätte er die große André-Heller-Show zur Eröffnung der Fußball-Weltmeisterschaft choreografieren sollen, die jedoch im letzten Augenblick abgesagt worden ist.

Haben wir da etwas versäumt? Ich weiß nicht recht! Denn Decouflés „Sombrero“ nimmt sich für unseren Geschmack doch als eine allzu kunterbunt arrangierte Revue über Mexiko in Geschichte und Gegenwart aus, bei der man nie genau weiß, wo man sich gerade befindet, in mythologischen Vorzeiten, in denen die Götter noch eine wichtige Rolle spielten, oder in der heute ausgesprochen amerikanisch dominierten Gegenwart. Und so könnte sie wohl auch für Las Vegas konzipiert worden sein, ist jedenfalls als Mexikos Beitrag zum Weltkulturerbe so fragwürdig wie die kontrovers diskutierte Elbbrücke bei Dresden.

Dabei handelt es sich um ein Multimedia-Spektakel virtuosester technischer Machart, bestehend aus viel Sprache und Zitaten, einem stilistisch quer durch die Jahrhunderte arrangierten Musikverschnitt von Brian Eno, Songs und Lieder in verschiedenen Sprachen, eher etwas mager ausgefallenen choreografischen Arrangements folkloristischer Herkunft bis zu modernen Hip-Hop- und Revueformen (viel Hüftgeschwenke), zahlreichen artistisch-akrobatischen Einlagen und zeremoniellen Ritualen, die überblendet sind von gigantischen Farblichtorgien, beziehungsweise Schattenspielen auf Superleinwänden, und es gibt auch durchaus beeindruckende Korrespondenzen zwischen lebenden Akteuren und kybernetischen Figuren und Figurationen auf den Projektionsflächen. Das ist immer faszinierend zu verfolgen, oft auch belustigend, und manchmal lässt Decouflé auch seine pornografische Fantasie durchgehen, denkt er sich Akte aus, bei denen man sich fragt, wie er das rein technisch hinkriegt. Besonders auch die diversen Wasser-Suggestionen auf dem Trockenen.

Kein Mangel an Abwechslung und Unterhaltung also. Inwiefern das allerdings unsere Kenntnis und unser Verständnis für Mexiko und seine so durchaus eigen geprägte Kultur erweitert, bleibt einigermaßen unerfindlich. Zumal die Show in ihrem dritten Teil mehr und mehr in eine amerikanische Cowboy-Dimension und -mentalität abdriftet, die fragen lässt, ob wir uns noch in Mexiko oder bereits in Texas befinden.

Nachdem „movimentos“ in den letzten drei Jahren immer wieder die verschiedensten Kompanien aus Südamerika in Wolfsburg präsentiert haben (in diesem Jahr wurden sie mit dem Balé de Bahia aus Salvador eröffnet) und wir ja auch sonst die verschiedensten Kompanien jenes Kontinents bei uns zu Gast hatten, beginnen wir uns doch allmählich zu fragen, welchen künstlerischen Stellenwert wir dem Beitrag Iberoamerikas zum tänzerischen Weltkulturerbe zubilligen können. Die so rührigen Wolfsburger Kulturmanager sollten sich vielleicht doch einmal überlegen, ob es nicht sinnvoll wäre, die eine oder andere unserer eigenen Kompanien – ich denke an Martin Schläpfer aus Mainz, an Daniela Kurz aus Nürnberg oder an Birgit Keils Karlsruher Truppe – nach Wolfsburg einzuladen.

 

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