Anne Teresa De Keersmaeker bei ImPuls Tanz im Volkstheater

Im Widerstreit mit dem eigenen Werk

Wien, 16/07/2007

Die Bühne im Volkstheater ist nahezu leer und eine Weltpremiere angesagt. Der Star aber sitzt (zunächst) in Reihe 2 im Publikum und blickt verschattet vor sich hin. Anne Teresa De Keersmaeker ist erneut Gast in Wien. Eindrucksvolle Beispiele vergangenen Schaffens waren in der letzten Saison im Theater an der Wien zu sehen; groß vom Festival ImPulsTanz herausgestellt. Auch jetzt ist der ästhetische Werkkatalog der maßgeblichen flämischen Choreografin retrospektiv Thema.

Diesmal geht De Keersmaeker den umgekehrten Weg. Die Binsenweisheit, dass eine Choreografin immer von ihren Tänzern abhängig ist, die mit ihr über viele Jahre eine Sprache prägen, ist nun der Ausgangspunkt. In gewisser Weise lässt De Keersmaeker demütig die Ausdruckskraft ihres vielgestaltigen Ensembles nach mehr als 20 Jahren auf sich zurückwirken. Und stellt sich dem Prozess als Tänzerin. Als Filter aber agiert Vincent Dunoyer: Der nach wie vor erstaunlich alerte und nuancenreiche Tänzer, sechs Jahre lang in De Keersmaekers „Rosas“-Ensemble, fungiert als Rechercheur und Choreograf des knapp einstündigen, große Teile in Stille verlaufenden Abends „Sister“.

Dunoyer ließ die prominente „Rosas“-Tänzerin Fumiyo Ikeda für Fotos posieren. Sämtliche Keersmaeker-Choreografien sollten damit punktuell erfasst werden. Mitglieder des „Rosas“-Ensembles verknüpften daraufhin die „Archiv-Posen“ mit eigenem Bewegungsmaterial. Und daraus entstand nun jenes Solo, das im Volkstheater zuerst von Dunoyer, danach von De Keersmaeker ausgeführt wird.

Interpretation Eingewoben werden die beiden höchst unterschiedlichen Auftritte in eine Dramaturgie, in der Film und Live-Tanz wechseln. Und die wohl darauf abzielt, zu zeigen, dass jede Bewegung persönlichkeitsgebunden interpretierbar ist und die jeweils eigene Biografie mit einbindet. Der Abend beginnt mit Film: Ein rundlicher Mann versucht, eine Bewegungsphrase zu lernen, wiederholt und wiederholt.

Noch im Dunkel zieht Dunoyer live seine Wege und führt bei grellem Lichteinfall in gemessenem Tempo, quasi zum Studium der im Publikum sitzenden De Keersmaeker, eine ausführliche Bewegungsfolge vor. Zeigt eine Kombination aus Ballett, geschmeidigen Schleifen mit Hoch-und Tiefgang und kleinen theatralen, kokett anmutenden Aperçus.

Anne Teresa De Keersmaeker gibt sich im graublauen Wickelkleid und in hochhakigen Schuhen betont sperrig. Setzt Dunoyer modellhaft auf Geschmeidigkeit, holt sie sämtliche Ecken und Kanten hervor, die ein Solo zertrümmern. So als hätte sie größte Mühe und letztlich Unwillen, sich dem transformierten Vermächtnis auszusetzen.

Nur das Anspielen eines Schubert-Liedes bringt die Tänzerin in Fluss. Eine Künstlerin im Widerstreit mit ihrer Geschichte.


Mit freundlicher Genehmigung des Kurier

 

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