Eine Königin der Hexen

Marcia Haydée in der Wiederaufnahme von Bournonvilles „La Sylpide“

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Stuttgart, 27/01/2007

Schade, dass die Wiederaufnahme von August Bournonvilles „La Sylphide“ beim Stuttgarter Ballett nicht am Anfang der Spielzeit stand! Denn dann hätte Mauro Bigonzetti bei den Proben zu seinen „I fratelli“ studieren können, was an darstellerisch-schauspielerischen Kapital in einer pantomimischen Rolle wie der Wahrsagerin Madge steckt, statt sich mit der eindimensionalen Skizzierung als Mamma Milano nach Art eines sowjetischen Denkmals für die Mütter der Söhne der Sowjetunion zu begnügen. Das hätte seinem Ballett dann auch zu einer zusätzlichen Dimension über die bloße Vertanzung des Film-Plots verholfen. Und hätte Marcia Haydée in ihrem siebzigsten Lebensjahr dazu verholfen, ihren Ruhm als Charakterdarstellerin in der Walhalla des Theaters an der Seite so eminenter Schauspiel-Kolleginnen wie Maria Koppenhöfer, Elisabeth Flickenschildt, Edith Heerdegen und Marianne Hoppe zu bekräftigen.

Nicht etwa, dass sie dessen bedurft hätte! Doch in der jetzigen, insgesamt so ansehnlichen Auffrischung der Peter-Schaufuss-Produktion von 1982 – deren Premiere sie als Direktorin der Kompanie auf so verletzende Weise den Rücken zugekehrt hatte (die Madge war damals, man erinnert sich Leslie McBeth – wie man sich gern auch an Birgit Keil in der Titelrolle erinnert) – wertet sie durch ihre detailliert-präzise darstellerische Intensität und Expressivität derart auf, dass sie sie, wenn schon eine Hexe, zu einer Königin der Hexen von shakespeareschem Geblüt nobilitiert. So wird sie sozusagen zu einem höllischen Pendant der Königin der Herzen – nach wie vor eine außerordentliche attraktive Frau, kein verschrumpelt-arthritisches altes Hutzelweibchen – oder, frei nach Shakespeare: „Schön ist hässlich, hässlich schön!“

Volles Haus in dieser zweiten Vorstellung (die Wiederaufnahme war am Abend zuvor, simultan mit der Münchner „Le Corsaire“-Premiere – mit Elena Tentschikowa und Filip Barankiewicz in den Hauptrollen) – mit Katja Wünsche und Marijn Rademaker in ihren Debüts als Sylphide und James und mit Katarzyna Kozielska als Effie und Alexis Oliveira als Gurn. Das Corps de ballet (inklusive der Junioren von der Cranko-Schule), die drei Vize-Sylphiden, die bürgerlichen und bäuerlichen Hochland-Schotten und luftigen Sylphiden alle bestens studiert und mit sichtlicher Wonne in ihren diversen Rollen als Stuttgarter Personal des dänischen Bournonville-Konsulats schlüpfend. Katja Wünsche als eine ausgesprochen moderne, eher coole, kalkuliert flirtende Nachfolgerin von Lucile Grahn, Rademaker ein eleganter, sprungalerter, sehr dynamischer James, in seiner Blondheit an den jungen Erik Bruhn erinnernd – dazu Kozielska als eine Effie, so pausbäckig gesund und so viel warmherzige Liebe ausstrahlend, dass sie partout nicht die momentanen spirituellen Absencen ihres Verlobten verstehen kann und sicher bei dem weniger spinnerten, realitätszugewandteren Oliveira besser aufgehoben ist. Eine der besseren Stuttgarter Klassiker-Produktionen, deren Haltbarkeitsdauer noch längst nicht überschritten ist.

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